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Das Gewicht des Himmels

Das Gewicht des Himmels

Titel: Das Gewicht des Himmels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tracy Guzeman
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Man kann sich kaum vorstellen, dass diese Finger einen lebenden Vogel halten, stimmt’s? Oder ihn beringen? Sezieren? Sogar das Fotografieren und Notizenmachen bei Feldstudien wäre nur an guten Tagen möglich gewesen.«
    »Sie haben Ihre Ausbildung abgebrochen und sind nach Hause gefahren, um Ihr Baby zu bekommen?«
    »Ja, Anfang des Frühjahrs. Ich war wahnsinnig glücklich. Es ging mir gut. Ich hatte Kraft. Ich habe nicht viel darüber nachgedacht, wie ich mit dem Baby zurechtkomme. Ich habe darauf vertraut, dass sich alles schon irgendwie regeln würde.« Alice stand langsam auf, ging zum Herd und stellte die Flamme unter dem Topf kleiner. »Ich habe mich geirrt.«
    Es war unangenehm, im Leben eines anderen Menschen herumzuwühlen. Stephen würde das wahrscheinlich nüch terner betrachten, wie ein Archäologe, aber er war auch nicht mit Alice in einem Zimmer und sah nicht die Blicke, die sie ihrer Tochter zuwarf. Wie eine Schiffbrüchige, die gerade Land gesichtet hat. Sie zuckte bei jeder Frage nach ihrer Vergangenheit zusammen. Als das Telefon klingelte und sie sich entschuldigte, war er froh über die Unterbrechung.
    Ein paar Minuten später kam sie in die Küche zurück. Sie wirkte verändert, ihre Wangen waren leicht gerötet und ihre Augen blitzten. »Phinneaus lässt Sie grüßen.«
    »Vermutlich hat Phinneaus Sie darauf vorbereitet, dass wir nach Santa Fe kommen?«
    Bei der Erwähnung von Phinneaus’ Namen entspannte sich ihr Körper, alle Härte wich daraus. »Er hielt es für möglich. Wir sind in dieser Hinsicht sehr verschieden. Er hat einen sechsten Sinn und lässt sich von seiner Intuition leiten. Ich reagiere erst und denke viel später darüber nach, was richtig gewesen wäre. Nachdem Stephen Sie so hastig weggezerrt hatte, ist Phinneaus in die Küche gegangen und hat sich auf Stephens Stuhl gesetzt. Und da sah er Saisees Notizen auf dem Kalender.«
    »Sie hatten also die Möglichkeit, Ihre Pläne zu ändern, haben es aber nicht getan?«
    »Ich beschloss, es dem Zufall zu überlassen, ob Sie uns finden oder nicht. Fast habe ich gehofft, dass es Ihnen gelingt.«
    »Das verstehe ich nicht. Warum?«
    Alice sah aus dem Fenster. »Weil ich ein Feigling bin.«
    »Nach allem, was ich über Sie weiß, Alice, muss ich widersprechen.«
    »Dann nennen Sie es das lange erwartete Urteil.«
    Sie blickte auf das Bild an der Wand, auf dem Natalie Agnete hielt und den Arm schützend um sie legte wie um ein eigenes Kind. Finch konstatierte in Natalies Miene die selbe besitzergreifende Entschlossenheit wie auf der Haupt tafel des Triptychons. Nur hatte sie dort Thomas für sich beansprucht.
    »Sie haben die andere Tafel nicht gesehen?«
    »Nein«, antwortete Alice. »Ich wusste nichts von dem Triptychon. Ich habe dieses Bild vor wenigen Tagen zum ersten Mal gesehen. Er hat sie sehr gut getroffen, finden Sie nicht?«
    »Wen, Agnete? Oder Natalie?«
    »Beide. Es ist das einzige Kinderbild, das ich von Agnete habe, abgesehen von dem in meinem Kopf. Jetzt habe ich sie kennengelernt, und meine Fantasie-Agnete ist fort. Ich kann sie nicht mehr zurückholen.« Sie wandte dem Bild den Rücken zu, als verursachte es ihr körperliche Schmerzen. »Was wollten Sie meiner Tochter denn erzählen?«
    Nach dem Besuch der Galerie hatte er sich eine kleine Rede zurechtgelegt und war sie immer wieder durchgegangen. Aber im Grunde hatte er nur Mutmaßungen und Hypothesen zu bieten. »Nur das von Thomas. Alles andere war noch unklar. Manchmal fand ich, dass sein Recht, Bescheid zu wissen, Vorrang hatte – vor Ihren Gefühlen und denen Ihrer Tochter. Er hat mich in eine unhaltbare Position gebracht, Alice, nur habe ich das nicht gemerkt, als ich ihm meine Hilfe versprach. Als ich dann herausfand, dass ein Kind involviert war, war er schon krank. Er konnte nicht mehr sprechen und nicht schreiben. Wie viel er verstand, war auch ungewiss. An diesem Punkt schien es mir zu spät, für unsere Vereinbarung Bedingungen zu stellen.« Finch verstummte. »Was weiß sie über Natalie?«
    »Nur dass ihre Tante unerwartet im September verstorben ist. Ich habe ihr gesagt, dass Natalie für Oktober einen Besuch geplant und das Flugticket schon gekauft hatte. Es hat Agnete sehr mitgenommen. Bei Natalies letztem Besuch haben sie sich über Geld gestritten. Agnete hat Natalie seit Jahren erklärt, sie brauche keine finanzielle Unterstützung, aber Natalie wollte nichts davon hören. Schließlich hat Agnete kapituliert und das Geld auf ein Sparkonto

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