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Das Gewicht des Himmels

Das Gewicht des Himmels

Titel: Das Gewicht des Himmels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tracy Guzeman
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kein bisschen beleidigend, dass unser Freund im anderen Zimmer uns unterstellt, wir wären irgendwelche zwielichtigen Gestalten?«
    »Sie sind doch nicht auf Streit aus, oder? Himmel, haben Sie den Mann gesehen? Seine Arme sind doppelt so dick wie Ihr Hals, Finch. Er ist vielleicht alt, aber trotzdem.« Stephen war mit seinem Handwerkszeug zugange: Digital kamera und Vergrößerungsglas. Damit untersuchte und do kumentierte er ein Aquarell an der Wand. »Na, fällt Ihnen was auf?«
    »Wie soll mir denn was auffallen, wenn Sie direkt davor stehen?«
    Stephen trat zur Seite. Sofort bemerkte Finch einen filigranen goldenen Vogelkäfig auf dem Nachttisch. »Das hier hat Sie so verzückt? Ihretwegen dürfen wir uns nachher durchsuchen lassen.«
    »Das ist der Käfig vom Gemälde.«
    »Ja, das sehe ich, aber das ist doch nicht weiter aufregend. Die Standuhr im großen Zimmer ist auch auf dem Bild. Genau wie das Sofa. Und ich würde wetten, die vergammelten Atlanten auf dem Couchtisch sind auch dieselben.«
    Stephen entgegnete nichts, deutete nur stumm auf das Bild. Finch kam näher und betrachtete das Aquarell. Als er die Signatur entdeckte, war er angenehm überrascht. »Dorothy Doughty? Was ist denn das? Eine Studie für eine ihrer Figuren?« Er nahm Stephen das Vergrößerungsglas aus der Hand und untersuchte jeden Zentimeter des Bildes, von oben nach unten und von rechts nach links, als würde er ein antikes chinesisches Manuskript entziffern.
    »Schauen Sie, der Text über der Signatur.«
    »Letitia. Das war Thomas’ Mutter. Aber ich erinnere mich nicht daran, dass Royal Worcester diesen Vogel je her ausgebracht hat – wissen Sie, was für einer es ist? Es gab sechsunddreißig Paare amerikanischer Vögel und drei Modelle von einzelnen. Außerdem noch neunzehn britische Vögel …«
    »Einundzwanzig, um genau zu sein.«
    Finch holte tief Luft und stellte sich vor, wie er Stephens schmalen Hals mit seinen Händen umfasste. Hatte er alt gesagt? Alt genug, um es besser zu wissen, schalt Claire ihn. Er schluckte und räusperte sich. »Ja. Einundzwanzig britische Vögel, aber die Produktion begann erst nach Dorothys Tod im Jahre 1962.« Er musterte Stephen über den Rand seiner Brillengläser hinweg und spürte, wie sich die Muskeln zwischen seinen Schulterblättern anspannten. »Sie kennen sie bestimmt auswendig?«
    »Rotschwänzchen auf Ginster im Jahr fünfunddreißig. Goldzeisig mit Disteln im Jahr sechsunddreißig. Hüttensänger auf Apfelblüten auch sechsunddreißig. Siebenunddreißig dann der Rotkardinal auf Orangenblüten …«
    »Ich will damit sagen, der hier gehört nicht zum Spätwerk. Thomas’ Mutter ist in England aufgewachsen, in Cornwall oder so. Die Doughty-Schwestern haben bis kurz nach dem Krieg auch dort gewohnt. Sie kannten sich vermutlich von damals, und da hat Dorothy sich gerade mit den amerikanischen Vögeln beschäftigt.«
    »Vielleicht haben Sie recht. Der Käfig ist also auf beiden Bildern, auf diesem Aquarell und auf der Mitteltafel unseres Triptychons. Aber interessanter ist das, was nicht zu sehen ist.«
    »Ich kann Ihnen nicht folgen.«
    »Es geht um die Widmung, Finch. ›Studie eines Modells‹, steht hier, nicht? Und der Vogel auf dem Aquarell ist in einem Käfig dargestellt. In diesem Käfig hier.«
    »Fragen Sie sich, wo der Vogel hingekommen ist? Woher wollen Sie denn wissen, dass das Geschenk nicht bloß aus dem Aquarell bestand?«
    »Betrachten Sie den Tisch, Finch. Genau hier. Nehmen Sie das Vergrößerungsglas zu Hilfe.« Stephen wippte auf den Fußballen hin und her, während Finch die Lupe über den Tisch hielt und einige Kratzer darauf entdeckte. Stephen hatte schon eine Plastiktüte und einen Wattetupfer aus seinem Werkzeugkasten geholt, und als Finch sich wieder aufrichtete, schoss er auf den Tisch zu und strich mit dem Tupfer über die Oberfläche.
    »Wenn der Vogel auf dem Bild ein Prototyp war und nie in Produktion gegangen ist, können wir davon ausgehen, dass er nicht auf einem Sockel ruhte, sondern einfach auf den Füßen stand. Ich werde diese Ablagerungen testen, um ihre chemische Zusammensetzung herauszubekommen, und dann kann ich sie mit ähnlichen Stücken vergleichen, die zur damaligen Zeit aus der Manufaktur kamen. Wenn es Übereinstimmungen gibt, können wir relativ sicher sein, dass Dorothy Mrs. Bayber neben dem Bild auch noch eine Figur geschenkt hat.«
    »Stephen, ich will kein Spielverderber sein, aber nehmen wir mal an, Sie haben recht, und hier stand mal

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