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Das Gewicht des Himmels

Das Gewicht des Himmels

Titel: Das Gewicht des Himmels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tracy Guzeman
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dreistöckiges Gebäude im Neokolonialstil, das früher vermutlich wie eine strahlende Sonne über den immergrünen Hecken geprangt hatte. Jetzt war die Farbe verblasst und erinnerte eher an Dijonsenf. Die Veranda hing ein wenig durch, und im Vorgarten befand sich eine Ansammlung von Fahrzeugen für jede Altersstufe. Da waren ein Volvo-Kombi, ein alter, auf Ziegeln aufgebockter Mercedes, zwei Motorräder und ein Dreirad mit schmutzigen Wimpeln, die von den Griffen herabhingen. Als sie aus dem Auto stiegen, hörten sie Hundegebell aus dem hinteren Teil des Grundstücks.
    Finch war trotz seiner schlechten Laune fest entschlossen und federte die Stufen zum Haus mit dem Enthusiasmus eines Handelsvertreters hinauf. Auf einem Pappkärtchen neben dem Klingelknopf stand: »Kaputt. Bitte laut klopfen.« Finch senkte enttäuscht den Kopf und winkte Stephen herbei, der sich die Handschuhe auszog und mit den blanken Fäusten gegen die Tür hämmerte. In großen Flocken löste sich die verwitterte Farbe vom Holz und fiel auf die verdreckte Fußmatte.
    Der Mann, der ihnen kurz darauf öffnete, hatte glattes, schulterlanges braunes Haar. Er trug ein kariertes Hemd und eine Brille mit erstaunlich dickem schwarzem Gestell. Finch sagte ein paar erklärende Worte, aber der Mann schien nichts gegen Fremde zu haben und ließ sie ein, nachdem er sich das Haar aus dem Gesicht gestrichen und Finch die Hand gegeben hatte.
    »Winslow Edell.« Er ging zum Fuß der Treppe und rief: »Esme!« Melodisch schallte seine Stimme durch das Haus. Obwohl so viele Fahrzeuge vor der Tür standen, war es ganz still, abgesehen von den Hunden, die jetzt im Duett bellten.
    »Sie kommt gleich. Wir können im Wohnzimmer auf sie warten.« Finch und Stephen folgten ihm durch den Flur in ein großes Zimmer. Winslow befreite die Möbelstücke von ihren Zeitungsüberzügen und warf die Seiten einfach auf den Boden. Stephen wunderte sich zunächst, warum es im Raum so hell war, bis er merkte, dass es keine Vorhänge oder Jalousien gab. Das Sonnenlicht, das von außen hereinkam, wurde vom Schnee im Garten reflektiert.
    »Sie sind also Freunde von den Kesslers?«
    Finch räusperte sich. Ausnahmsweise hatte Stephen nicht das Bedürfnis, sich einzubringen; er war noch zu sehr damit beschäftigt, das herumstehende Gerümpel auf sich wirken zu lassen.
    »Im Auftrag eines guten Freundes der Familie wollen wir Natalie und Alice aufspüren.«
    Winslow legte die Stirn in Falten. »Ich glaube nicht, dass wir Ihnen helfen können. Wir haben Natalie Kessler nur einmal getroffen, und das war vor fünfunddreißig Jahren, nämlich als wir uns das Haus 1972 zum ersten Mal angeschaut haben.«
    »Und dann haben Sie es sofort gekauft?«
    »Nein, nein. Wir haben es nur gemietet. Die Kesslers sind immer noch die Eigentümer.« Eine Frau mit ausgefransten Jeans und einem langen kastanienfarbenen Zopf kam herein und setzte sich auf die Armlehne von Winslows Sessel. »Wir haben uns auf den ersten Blick in das Haus verliebt. Ich war da gerade mit unserem ersten Kind schwan ger, und Natalie – Miss Kessler – musste eilig fort. Ich habe mitbekommen, dass es noch eine jüngere Schwester gab, aber sie war krank oder gerade woanders, als wir einzogen. Wir haben sie nie kennengelernt. Ich bin übrigens Esme.« Sie gab Finch ein schnelles Küsschen auf die Wange und wiederholte dasselbe bei Stephen. »Kannst du das fassen, Winslow? Dass wir schon so lange hier sind?«
    »Wir haben hier sechs Kinder und elf Enkel bekommen. Ganz schön viel Familiengeschichte.«
    Das Haus war eine Mischung aus gutem Geschmack und Verfall. Aus Sesseln mit edel geschnitzten Beinen quoll die Polsterung heraus, und der Couchtisch hatte zwar Dellen, war insgesamt aber robust. In der Ecke stand ein Klavier, begraben unter einem Haufen Zeitschriften.
    »Spielen Sie Klavier, Mrs. Edell?«, fragte Stephen.
    »Mrs. Edell?«, zwitscherte Esme. »Bitte nennen Sie mich Esme. Wir legen keinen Wert auf Förmlichkeiten. Auch unsere Kinder haben uns beim Vornamen genannt. Wir wollten ihnen vermitteln, dass sie uns gleichgestellt sind.«
    Winslow nickte. »Genau, von Anfang an. Es sind ja vollwertige Menschen, nur kleiner.«
    Hierhin also hatten sich die verbliebenen Hippies verkrochen. Stephen vermied einen Seitenblick auf Finch, glaubte aber genau zu wissen, welchen Gesichtsausdruck er gerade aufgesetzt hatte. »Darf ich es mir mal anschauen?«
    »Aber gern.« Sie nahm die Stapel mit den Zeitschriften vom Klavier, und Stephen

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