Das Gewölbe des Himmels 1: Der Vergessene (German Edition)
nur selten jemanden hören.«
Vendanji beugte sich erneut vor und starrte Tahn gebannt an, als brenne er darauf, ihm eine Frage zu stellen. Einen Moment lang spielte er mit dem Anhänger an seiner Halskette. Schließlich lehnte er sich jedoch schweigend zurück. Tahn hatte den Eindruck, dass der Mann immer noch über das nachdachte, was er eben gehört hatte.
Hambley kehrte zurück, setzte sich wieder und wrang einen feuchten Lappen aus.
Sutter räusperte sich. »Und, bist du nun hier, um Nordsonn zu feiern oder um Fragen über Tahns Schwester zu stellen?«
Ein bekümmerter Ausdruck trat in Vendanjis Augen. »Die Traditionen des Nordsonn-Festes sind schon fast überall in Vergessenheit geraten.« Er lächelte traurig. »In den großen Städten wie Myrr und Decalam haben die Exigenten solche Dinge aus dem öffentlichen Leben verbannt. Nur wenige wagen es noch, zu Hause zu feiern und damit den Zorn der Liga zu riskieren.«
»Exigenten?«, fragte Sutter und sah Tahn und Hambley ratlos an.
»Ja. So hießen sie zumindest am Anfang. Inzwischen nennen sie sich die Liga der Edukation«, erklärte Vendanji stirnrunzelnd. »Doch zu Beginn waren sie als die Exigenz bekannt. Im Zeitalter der Zuversicht, nach dem Krieg des Ersten Eides, herrschte Frieden. Und in dieser friedlichen Zeit hatten manche das Bedürfnis, den Schatz der überlieferten Historie niederzuschreiben, um die Geschichten ihrer Ahnen lesen und immer wieder erzählen zu können. Andere hingegen hielten es für zwingend notwendig, diese Verewigung der Vergangenheit auszulöschen. Sie hindere die Menschen daran, das Versprechen ihrer Geburt mit eigenem Leben zu erfüllen, behaupteten sie. Diese Leugner nannten sich selbst die Exigenz und bald die Liga der Exigenten. Die meisten Scolae sind der Ansicht, dass die Exigenten für das Ende jenes Zeitalters der Zuversicht verantwortlich waren und das Zeitalter der Zwietracht einleiteten. Ganze Gesellschaften gingen unter, weil sie die Verbindung zu ihrer Vergangenheit verloren hatten und allzu selbstzufrieden wurden. Und wer den Exigenten trotzte, wurde hingerichtet. Einige Generationen später hatten sich die Exigenten fest etabliert und mäßigten sich ein wenig. Ihre Mission trieben sie nun öfter in hohen Ämtern und Thronsälen voran. Tausend Jahre später war die Zwietracht vorüber, und es begann das Zeitalter der Erziehung, das so bezeichnet wurde, weil die Liga der Exigenten sich nach ihrem neuen Credo umbenannte: die Menschheit zu zivilisieren und Aberglauben und arkane Praktiken auszulöschen … wie etwa das Lenken des Allwillens.« Wieder runzelte der Fremde die Brauen. »Heute hat die Liga überall Garnisonen, in so gut wie jeder Stadt. Die sind schon Grund genug für eine Reise ins Helligtal.« Er berührte ein weiteres Mal den Anhänger an seiner Kehle, eine unbewusste Geste, von der Tahn vermutete, dass sie den Mann auf irgendeine Weise beruhigte.
Sutter fragte nicht weiter nach, und die vier Männer verfielen in unbehagliches Schweigen. Die Taverne lärmte fröhlich weiter, ein Barde begann auf seiner Cister zu spielen. Mit den Fingern brachte er prächtige Melodien hervor, die er jedoch mit einer miserablen Stimme begleitete. Vendanji ließ den Blick durch den Raum hinter Tahn und Sutter schweifen und musterte die Gesichter der Leute, die hier zusammengefunden hatten, um zu essen und sich zu unterhalten.
Er schien mit dem, was er sah, zufrieden zu sein und starrte wieder Tahn an. »Ich bin deinetwegen hier.«
Ein warnender Schauer lief Tahn über den Rücken. Seine Ohren wurden taub gegen das laute Treiben in der Feldstein-Taverne. Er sah und hörte nichts mehr, sondern zog sich in sich selbst zurück, wo er sich nur beruhigen konnte, indem er sich stumm die alte Formel vorsagte: Den Bogen spannen meine Arme, doch der Wille löst den Pfeil.
Dann dachte er an Wendra, an Balatin in seinem Grab … und den Velle am Vormittag.
Auf einmal nahm er wahr, dass Vendanji ihn wieder auf diese Weise ansah, als spähte er durch Tahns Augen hindurch in seinen Kopf. »Du musst mit mir kommen, Tahn, und das Helligtal verlassen. Sehr viel hängt davon ab. Bald werde ich dir mehr darüber sagen, wohin wir gehen und was zu tun ist. Aber vorher müssen noch andere zu uns stoßen, und ich habe zunächst nur eine Aufgabe für dich.«
Tahn erwiderte Vendanjis Blick wie vom Donner gerührt.
»Ich habe etwas bei eurem Schmied in Auftrag gegeben. Es müsste beinahe fertig sein. Nenn ihm einfach meinen Namen, wenn
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