Das Gewölbe des Himmels 1: Der Vergessene (German Edition)
Ufer und starrte hilflos zu Tahn herüber. Der Stilletreue raste auf ihn zu, kalte Endgültigkeit in jedem Schritt. Tahn riss den Bogen hoch, und die Worte schossen ihm durch den Kopf: Den Bogen spannen meine Arme, doch der Wille löst den Pfeil. Dann zischte der erste Pfeil von seiner Sehne, der zweite und ein dritter. Einer nach dem anderen traf den Fährtenleser in die Brust.
Ein gellender Urschrei zerriss die Luft, kräuselte das Wasser und ließ die Blätter an den Ästen zittern.
Der Fährtenleser wurde langsamer, kam aber weiter auf Tahn zu. Der wich hastig zurück und tastete dabei nach weiteren Pfeilen. Schwere Schritte waren vom Ufer zu hören. Die wissenden Augen des Fährtenlesers rollten in seinem Kopf zurück, und er drehte sich trippelnd dem Angreifer entgegen. Sutter kam schlitternd zum Stehen und nutzte seinen Schwung für einen gewagten, hemmungslosen Hieb. Das Geräusch, mit dem der Stahl die Luft teilte, klang sogar in Tahns Ohren bedrohlich. Doch der Fährtenleser wich aus, stieß einen langen Arm vor und schlang die unerbittlichen Finger um Sutters Hals. Der ließ das Schwert fallen und versuchte mit beiden Händen, den Griff des Fährtenlesers um seine Kehle zu lockern. Sein Gesicht lief rot an, und die Adern an seiner Stirn und seinem Hals traten dick hervor. Der Stilletreue hob Sutter mit einer Hand vom Boden hoch. Dann stieß er einen grausigen Schwall glucksender, kehliger Worte hervor.
Sutter strampelte mit den Beinen, doch seine Tritte trafen nur schwach auf den dünnen Leib in den nassen Falten des dunklen Umhangs. Er riss den Mund auf und japste verzweifelt nach Luft. Tahn fürchtete, dass der Fährtenleser ihm jeden Moment mit bloßer Hand den Hals brechen würde. Blut quoll aus Sutters Mund und tropfte aus seiner Nase.
Endlich bekam Tahn ein paar Pfeile zu fassen. Er murmelte seinen Spruch schon vor sich hin, während er sie an die Sehne legte, und jagte dem Fährtenleser drei weitere Pfeile in den buckeligen Rücken. Das Geschöpf bäumte sich auf und ließ Sutter los, der zu Boden fiel und sich an den Hals fasste.
Das fratzenhafte Gesicht wandte sich Tahn zu, und mit blutverschmierten Lippen krächzte das Wesen Flüche, die Tahn nicht verstand: »Je’malta yed solet, Kalme. Sine ti stondis roche.« Es sackte vor Tahns Füßen zusammen, und eine verschrumpelte Hand kroch auf seinen Stiefel zu. Dann blieb sie reglos liegen.
Tahn schlug einen weiten Bogen um den Fährtenleser und eilte zu Sutter hinüber. Sein Freund saß zusammengekrümmt da, keuchte rasselnd und betastete hilflos seine Kehle. Tahn griff nach seinem nassen Umhang, wischte Sutter das Blut vom Gesicht und half ihm, sich wieder hinzulegen.
»Langsam, atme ganz langsam«, wies er ihn an.
Sutter schüttelte den Kopf und schnappte nach Luft. Sein Hals verfärbte sich bereits lila, so stark war die Haut von dunklem Blut unterlaufen. Tahn begann, übertrieben tief und in einem langsamen, gleichmäßigen Rhythmus zu atmen, damit Sutter seine Atmung wieder in den Griff bekam. Nach einer Weile hatten sich beide beruhigt und lagen nass und blutverschmiert im Schatten eines Baumes, nur drei Schritte von dem toten Fährtenleser entfernt.
Als ihre Herzen nicht mehr so laut hämmerten, dass sie den rauschenden Fluss übertönten, wandte sich Tahn seinem Freund zu. Sutters Blick wirkte verstört von der Nähe seines eigenen Todes. »Wäre es zu viel verlangt, wenn ich dich bitte, deine Balsamwurzeln zu suchen? Ich fühle mich nicht so gut.«
Sutter drehte den Kopf zur Seite, um seinen Freund anzusehen. »Der Fuß zwickt wohl noch ein bisschen, was?« Keiner von beiden lachte. »Dieses Ding hatte es nicht auf mich abgesehen, Tahn.«
»Nicht, bis du dieses Schwert blankgezogen hast«, entgegnete Tahn dankbar.
Sutter schüttelte den Kopf. »Sogar nachdem ich es von dir weggestoßen hatte, hat es sich einfach wieder zu dir umgedreht.« Seine Augen verfinsterten sich. »Was will der Born nur von dir?«
Geduld, Kind. Ich habe nicht die Absicht, dich zu töten. Ich will nur deinen Geist brechen, ehe ich dich mitnehme.
Plötzlich wurde Tahn bewusst, in welche Gefahr seine Freunde sich begeben hatten, doch er konnte Sutters Frage nicht beantworten. Nur die Geheimnisse des Sheson konnten das. Aber die Worte des Fährtenlesers schlugen Wurzeln in seinem Herzen wie Unkraut, das an Zweifeln, Angst und Albträumen gedieh.
»Ich weiß es nicht«, antwortete er schließlich. »Vielleicht finden wir es in Decalam heraus.«
Sutter
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