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Das Gewölbe des Himmels 1: Der Vergessene (German Edition)

Das Gewölbe des Himmels 1: Der Vergessene (German Edition)

Titel: Das Gewölbe des Himmels 1: Der Vergessene (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Orullian
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großen Schritten war er dort und bückte sich, um die Asche von der glänzenden Fläche zu wischen. Inmitten eines Kreises aus schwarzem Glas waren zwei Löcher in die Erde getrieben. Löcher von der Größe einer Männerhand. Tahn ließ den Blick über die Lichtung schweifen und bemerkte mehrere weitere schwarze Kreise. Manche waren größer als die übrigen, und einige lagen mitten in kleinen Vertiefungen auf der ansonsten ebenen Lichtung.
    Tahn wischte sich die Asche von den Händen, richtete sich auf, spannte wieder halb den Bogen und ging vorsichtig weiter. Der schwarze, gekräuselte Granit sah aus wie ein Vorhang aus Stein und verschloss offenbar einen Zugang, denn ein Pfad endete unmittelbar an der Felswand.
    »Das ist nah genug.« Eine seltsame Stimme hallte über die Lichtung und erschreckte Tahn so, dass ihm der Pfeil von der Sehne glitt.

39
    KETZEREI
    E ine einzelne Kerze beleuchtete das Zimmer des Wanderers. Er saß in ihrem Schein am Tisch, eingehüllt in das leere Schweigen seines Hauses. An seinen Fingern klebte noch der Staub vom Grab seines Schützlings – er hatte den Jungen im ausgedörrten Boden begraben und sich einen weiteren Schritt von der Welt dort draußen zurückgezogen.
    In den schmutzigen Händen hielt er ein Amulett, das der Junge stets bei sich getragen hatte. Das war alles, was ihm von seiner Herkunft geblieben war – ein Geschenk von einer Mutter, die er nie gekannt hatte. Der Junge hatte es nie um den Hals getragen, aber immer bei sich gehabt. Vielleicht in der vagen Hoffnung, wieder mit ihr vereint zu werden, oder als mahnendes Zeichen für die Vernachlässigung, die ihn zu dem wettergegerbten Mann gebracht hatte.
    Was immer der Grund dafür gewesen sein mochte, der Junge hatte nie darüber gesprochen, und der Mann hatte nicht danach gefragt.
    Doch jetzt drehte er das Amulett zwischen Fingern herum, die mit der letzten Erde des Jungen beschmutzt waren, und dachte über Entscheidungen nach, über den Tod. Er dachte an seine vielen Schützlinge. Und er dachte über die Landschaft seiner Seele nach, die er sich so verdorrt und karg vorstellte wie das Land vor seiner Tür.
    Er hielt nicht viel von der menschlichen Gemeinschaft. Hegte kaum Hoffnung für sie. Die wenigen Menschen, die ihre Bürde stark ertrugen und sich in dieser Zeit des Raunens bemühten, ein Kind großzuziehen, verdienten sich damit seine Wertschätzung. Doch auch sie mussten untergehen, wenn die Flut der schlechten Entscheidungen zurückkam und sie alle überrollte.
    Das war ihm bereits klar gewesen, als sie ihn hierhergeschickt hatten.
    Jetzt war es umso klarer.
    Um dieses Wissen zu ertragen, musste er die kühnsten Gedanken wagen, selbst wenn das, woran er dachte, nur eine Beschäftigung wäre, die seinem gequälten Geist und seiner Seele wohltun würde.
    Der Mann hob den Blick und betrachtete sein bescheiden eingerichtetes Heim. Es war kein Hauch von Behaglichkeit darin zu spüren. Er existierte hier nur, immer und ewig auf einem schmalen Grat, zur einen Seite der Verlust aller Ehre, der ihn an diese Strafe band, auf der anderen der Tod. Dach und Wände schützten die Betten und Lager seiner anderen Schützlinge vor der Sonne. Das Allernötigste und ein Unterschlupf, mehr nicht.
    Die Ödnis schien ihn und alles um ihn herum durchdrungen zu haben. Und vielleicht war selbst das ein Segen. Vielleicht dämpfte es die Wirklichkeit, die er gespürt hatte und die das Land der Menschen verschlang. Und wenn er sie hier als gedämpft empfand, wie entsetzlich mochte die Wirklichkeit dann sein?
    Doch so hart und erbarmungslos er geworden sein mochte, es keimte doch Hoffnung in ihm. Gut möglich, dass er diesen Keim mit dem Kauf von Pergament zum Sprießen gebracht hatte. Er hütete sich vor ungerechtfertigter Zuversicht – Segnungen und Überraschungen kamen nur dann, wenn die Erwartung gering blieb. Dennoch, ein Samenkorn der Hoffnung …
    Ein bitteres Lächeln huschte über sein sonnengebräuntes Gesicht bei dem Gedanken, dass andere die Kultivierung dieser Hoffnung als Akt der Ketzerei bezeichnen würden. Die Welt war wie auf den Kopf gestellt. Er kam zu dem Schluss, dass er das klarer erkannte, weil sein Leben einen so düsteren Verlauf genommen hatte. Und vielleicht war genau das nötig, damit niedergeschrieben wurde, was er jetzt zu schreiben wagte.
    Das Trappeln kleiner Füße unterbrach seine Gedanken. Er blickte auf und sah seinen jüngsten Schützling im Eingang stehen und zu ihm herüberstarren. Das kleine

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