Das Gewölbe des Himmels 1: Der Vergessene (German Edition)
das einzige Geheimnis zwischen ihnen, zumindest von seiner Seite aus. Aber irgendetwas hatte ihn immer davon abgehalten. Irgendetwas? Hm. Er wusste sehr wohl, was ihn zurückhielt, aber davon würde niemand je erfahren. Manche Dinge mussten eben geheim bleiben …
»Was erzählt man denn über sich, wenn die eigenen Eltern einen zurücklassen, weil sie irgendwas Besseres zu tun haben? Ich wollte nicht, dass die Leute das wissen.« Nach einer kurzen Pause fügte er hinzu: »Was spielt das überhaupt für eine Rolle?«
»Für mich gar keine, Rübenbauer «, schalt ihn Tahn. »Aber es ist ein Jammer – da hätte ich dich die ganze Zeit über ›die Waise Rübenbauer‹ oder ›das verlassene Rüblein‹ oder ›der verlorene Bauernsohn‹ nennen können.« Im Mondschein sah Sutter seinen Freund lächeln.
Er wusste, dass die Sache damit erledigt war. Tahn würde das nie wieder erwähnen – außer vielleicht, um ihn zu necken –, wenn Sutter nicht von sich aus darüber sprach. Es war einfach nicht wichtig. Zum Dank boxte er Tahn in den Arm.
Unter den Bäumen auf der anderen Seite einer kleinen Schlucht stand halb verborgen eine Hütte. Obwohl der Mond nur eine dünne Sichel war, spendete er immer mehr Licht, während die Wolken weiter abzogen. Hohe Farne am Waldrand verbargen das Häuschen zusätzlich. Farne und Flechten bedeckten auch das Dach, und an den Wänden wucherten Efeuranken empor. Es sah so aus, als hätte der Wald die kleine Hütte beinahe verschluckt. Unter dem aufklarenden Himmel wurde die Luft winterlich kalt, und Sutter begann zu zittern. Da trat Mira aus der Tür. Die Fern warf Vendanji nur einen Blick zu und verschwand wieder nach drinnen. Sie banden ihre Pferde an nahen Bäumen fest und betraten das Haus.
Die Wände der kleinen, leeren Zimmer waren feucht. Durch winzige Risse im Boden und den Außenwänden hatten sich Pflanzen hereingedrängt, die in geraden Linien an den Balken entlangwuchsen. In einer Ecke stand ein Schaukelstuhl mit einer so dicken Staubschicht, dass sie wie ein Pelz wirkte. Vor der südlichen Wand lag ein umgekippter Esstisch. Mira war bereits an der Feuerstelle zugange. Beim Gedanken an ein Feuer spürte Sutter die Kälte umso mehr.
Als Mira mit den Vorbereitungen fertig war, hockte sich Vendanji auf einem Knie vor den Kamin. Er rieb seine Handflächen aneinander. Braethen stand dicht neben ihm und beobachtete ihn mit unverhohlenem Interesse. Gleich darauf öffnete der Sheson die Hände und berührte damit das Holz. Sutter blieb der Mund offen stehen. Er hatte in seinem ganzen Leben noch nicht gesehen, wie jemand den Allwillen lenkte!
Das Holz begann zu brennen, doch das Feuer war dunkel. Schwarze Flammen leckten an den Ästen, und Sutter konnte die Wärme augenblicklich auf den Wangen spüren. Aber sie erzeugten weder Licht noch Rauch, soweit Sutter sehen konnte. In der Hütte blieb es dunkel, obwohl das Feuer die Kälte vertrieb. Vendanji richtete sich auf und trat in die Nacht hinaus. Mira war bereits wieder verschwunden.
»Dunkelfeuer«, sagte Braethen, als spräche er mit den schwarzen Flammen. »Um uns vor den Bar’dyn zu verbergen.«
Wendra ließ sich dicht vor dem Kamin auf dem Boden nieder und streckte die Hände nach den Flammen aus.
»Nicht nur vor den Bar’dyn«, fügte Sutter hinzu. Vor lauter Aufregung erzählte er von Tahns Erlebnis mit dem Velle am frühen Morgen, damit alle Bescheid wussten.
»Und Velle sind schwer aufzuspüren.« Das war Mira. Sie trat aus der Ecke neben dem einzigen Fenster. Trübes Mondlicht schimmerte auf den Griffen der beiden Schwerter, die sie auf den Rücken geschnallt trug. Den Lederriemen um den Kopf hatte sie abgenommen, so dass ihr das Haar nun in nassen Strähnen ums Gesicht fiel. Sie hockte sich neben Wendra und spähte in die dunklen Flammen. »Wir dürfen nicht lange bleiben. Velle können Veränderungen des Willens spüren. Sie werden uns finden, auch wenn der Regen unsere Spuren verwischt.« Sie stand auf. »Ihr solltet jetzt alle schlafen. Wenn die Pferde sich ein wenig erholt haben, reiten wir weiter.«
Sutter sah, wie Tahn einen seltsamen Blick mit der Fern wechselte. Er war nicht sicher, aber er hätte schwören können, dass sein Freund errötete. Dann ging Mira wieder hinaus zu Vendanji.
»Sie ist wirklich charmant, Eichhörnchen«, scherzte Sutter. »Kein Wunder, dass du sie so anziehend findest.«
»Aber sie hat recht«, warf Braethen ein. »Wir brechen wahrscheinlich im Morgengrauen wieder auf, also
Weitere Kostenlose Bücher