Das Gewölbe des Himmels 1: Der Vergessene (German Edition)
können wir nur ein paar Stunden schlafen.« Er legte sich in die Nähe des Feuers, das heißer zu brennen schien, als Sutter je ein Kaminfeuer empfunden hatte. Die Wände der Hütte begannen schon zu trocknen, und die Luft war warm und behaglich.
Der Sheson erschien in der Tür. »Auf, Braethen. Wir wollen sehen, wie gut du dich verteidigen kannst.«
Braethen stand auf und folgte dem Sheson in das andere Zimmer. Vendanji machte sich nicht die Mühe, die Tür zu schließen. Lange Zeit hörten die anderen zu, wie Vendanji auf Braethen einschlug, der weder die Reflexe noch die nötige Übung hatte, sich zu schützen. Sutter war nicht sicher, aber es hörte sich an wie eine Art Training – Braethen versuchte offenbar, einen Schlag nach dem anderen abzuwehren. Alle saßen still da, während sich die Übungsstunde immer länger hinzog. Schließlich brachen die dumpfen, klatschenden Geräusche ab, und sie hören den Sheson mit leiser, verächtlicher Stimme sagen: »Du bist erbärmlich.«
Gleich darauf kam Braethen hereingeschlichen. Selbst im Halbdunkel war sein zerschundenes Gesicht zu erkennen. Der Sodalen-Lehrling wich ihren Blicken aus. Er hockte sich hin, drehte sich zur Wand und schluchzte sich in den Schlaf.
Sutter schüttelte den Kopf. Er zog seinen Umhang aus, schlich zu Braethen hinüber und legte ihn dem jungen Mann um die Schultern, um ihn zu wärmen und zu trösten. »Ich weiß, ich habe dich immer wegen dieser Sodalengeschichte aufgezogen. Aber wenn du das wirklich willst, dann lass diesen Dreckskerl es nicht aus dir herausprügeln.«
Sutter war nicht sicher, ob Braethen im Halbdunkel nickte. Er überließ ihn seinen lautlosen Tränen. Sutter wusste, dass man die manchmal einfach brauchte.
Er setzte sich vor die Wand, wobei das Schwert an seinem Gürtel sich zwischen seinen Beinen verhedderte. Tahn lächelte. »Wo hast du das eigentlich her?«
»Von unseren neuen Freunden da draußen. Braethen hat auch eines bekommen. Wie, du meinst also auch, meines sollte länger sein?«, antwortete Sutter grinsend.
»Hast du schon mal eines benutzt?« Tahn hockte sich neben ihn.
»Nur die paar Übungen, die dein Vater uns in dem Sommer gezeigt hat, ehe er in die Erde heimkehrte. Ich werde sicher keine goldenen Trophäen gewinnen, aber ich weiß, wie man damit umgeht. Und ich habe die Schwielen dafür.« Sutter hob seine Feldarbeiterhände. »Willst du mal gegen mich antreten?«
Tahn schüttelte den Kopf, und ihrer beider Lächeln erlosch, als sie zu Braethen hinüberschauten.
Alle schwiegen eine Weile. Die Stille in der Hütte, ihre überstürzte Flucht die Nordstraße entlang und vielleicht auch Braethens unerwartete Tracht Prügel und seine Tränen machten Sutter zu schaffen. Sein Gefühl von Freiheit hatte einen Dämpfer bekommen, und er musste wieder an seine Eltern denken. Alles war so plötzlich geschehen.
Sich nur halb bewusst, dass er laut sprach, teilte er einen traurigen Gedanken, so leise, dass er gerade noch zu verstehen war. »Ich wünschte, ich hätte mich von meiner Familie verabschieden können.« Er blickte auf und sah, dass Tahn ihn anstarrte. Die Miene seines Freundes sagte ihm, wie selten er einen Gedanken über seine Familie äußerte. Vielleicht auch gar nicht. Er würde als Erster aufsitzen, sobald es weiterging, doch in diesem Augenblick fragte er sich auch, ob seine frühe Kindheit (Waisenheit, nannte er sie für sich) seine Gefühle nachhaltig durcheinandergebracht hatte, was Familie anging.
Vor allem fragte er sich, ob sein Vater es ohne ihn schaffen würde, die Äcker abzuernten. Wenn nicht, würde es diesen Winter womöglich schlecht für sie aussehen. Sie hatten nicht so viel eingelagert wie noch im vergangenen Jahr. Sutters Verschwinden könnte den Mann um Haus und Hof bringen. Und plötzlich bekam Sutters Abenteuer, ob er es nun gezwungenermaßen angetreten hatte oder nicht, eine ganz neue, größere Bedeutung.
Während Sutter an die Wand gelehnt sitzen blieb, mit starrem Blick in seine Gedanken über seine Eltern versunken, rutschte Tahn zu seiner Schwester hinüber.
Wendra hatte einen langen Dolch – wahrscheinlich ein Geschenk, wie die Waffen der anderen – neben sich und lag nah am Kamin zusammengerollt. Mit leerem Blick stierte sie in die dunklen Flammen. Tahn konnte den Kupfergeruch von Blut an ihrer Bluse riechen und fragte sich, ob sie ihn noch wahrnahm oder schon lange nicht mehr roch, weil er an ihrer Kleidung klebte. Vor seinem geistigen Auge konnte er immer noch
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