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Das Gewölbe des Himmels 1: Der Vergessene (German Edition)

Das Gewölbe des Himmels 1: Der Vergessene (German Edition)

Titel: Das Gewölbe des Himmels 1: Der Vergessene (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Orullian
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aber sie quälten sie auch.
    Also stellte sie ihre Spieldose direkt vor ihr Gesicht auf den Boden und summte deren Melodie. Die erinnerte sie an Balatin, und das fühlte sich tröstlich an.
    Bald wich sie von der vertrauten Weise ab und spann eigene Melodien, wie sie es oft tat. So leise strömten sie über ihre Lippen, dass niemand sie hörte. Diese neuen Lieder gerieten düsterer, traurig und mit einem Anflug von Wut. Irgendetwas daran besänftigte Wendras gequälten Geist so sehr, dass sie einnickte, doch die Ereignisse des Tages verfolgten sie bis in ihre Träume.
    Ein schriller Schrei riss sie aus dem Halbschlaf. Der Raum lag noch im Dunkeln. Sie setzte sich auf und starrte mit aufgerissenen Augen um sich. Braethen sprang sofort auf und zog sein Schwert. Hinter ihnen polterte etwas laut auf den Boden. Wendra fuhr herum und sah, dass Sutter offenbar im Sitzen eingeschlafen und nun vor Schreck umgefallen war. Er lächelte verlegen. Mira war weg, der Schaukelstuhl leer. Wieder zerriss der Schrei die frühmorgendliche Stille, diesmal lauter und näher. »Bar’dyn!«

10
    MAERE
    D ie Tür der Hütte flog nach innen auf, sprang aus den Angeln und krachte zu Boden. Eine Gestalt im wehenden Umhang füllte den Türrahmen aus. »Kommt! Sofort!«, befahl Vendanji mit leiser, aber drängender Stimme. Tahn zog Wendra zur Tür hinaus ins fahle Zwielicht. Mira hatte die Pferde schon losgebunden und hielt sie bereit. Tahns Blick war noch verschwommen vor Müdigkeit, doch er bestieg Jole, während die anderen sich auf ihre Pferde setzten. Mira half Wendra in den Sattel.
    »Seid still und reitet einfach. Folgt mir«, sagte Mira und drückte jedem die Zügel seines Pferdes in die Hand. Dann sprang sie auf ihr Reittier und führte sie die Schlucht entlang, die parallel zur Straße verlief. Tahn wollte warten und sich als Letzter hinter Sutter und Braethen einreihen. Vendanji holte zu ihm auf und schnappte nach Joles Zügeln.
    »Halte dich nah bei Mira.« Die Stimme des Sheson duldete keinen Widerspruch. Tahn sah sich nach Wendra um. »Ich gebe auf sie acht«, versprach Vendanji und zog Jole vorwärts.
    Der Lenker und Wendra ritten Tahn voran, Sutter und Braethen kamen als Letzte. Am Himmel rechts von ihnen gewann die Sonne hinter dem Horizont an Kraft. Sie preschten durch Buscheichen und junge Bäume, die durch den vielen Regen wie wild aus dem Boden geschossen waren. Tahn hielt sich einen Arm vor die Augen, um sie vor peitschenden Zweigen zu schützen. Sie galoppierten bis hinein in einen flachen Zufluss des Huber. Mira wandte sich nach rechts und folgte dem Fluss in Richtung der Nordstraße. Wasser spritzte um ihre Pferde auf, als diese wieder schneller wurden. Das Bachbett wurde breiter, und hier und da konnten sie lange Sandbänke oder felsigen Grund nutzen. Sie jagten dem Sonnenaufgang entgegen, als sich in der morgendlichen Stille laute Schlachtrufe erhoben. Das Gebrüll ließ die Blätter an den Bäumen erzittern und schien vibrierend aus der Erde selbst zu dringen. Hinter einer weiten Biegung tauchte eine Brücke vor dem leuchtend hellen Horizont auf, an dem jeden Augenblick die Sonne aufgehen würde. Auf der anderen Seite der Brücke erschien tief im Schatten hoher Eiben am Ufer ein noch dunklerer Sche men.
    Maere!
    Tahn erkannte die Kreatur instinktiv aus den Nordsonn-Geschichten wieder: ein Stilletreuer aus den Tiefen des Born, geschaffen aus Schatten und gebrochenen Versprechen.
    Das fahle Morgenlicht schimmerte wabernd durch den Maere hindurch. Er wirkte wie ein Schatten auf der vom Wind gekräuselten Oberfläche eines Teichs. Mira hielt abrupt an, und Tahn hätte sie beinahe über den Haufen geritten.
    Vendanji preschte nach vorn, um sich mit Mira zu beraten, doch sie hatten erst ein paar Worte gewechselt, als der Maere sich aufbäumte und verblüffend schnell auf sie zuhielt. Völlig gleichmäßig jagte er durch das unebene Bachbett heran, ohne auch nur den geringsten Satz zu machen. Tahn spürte plötzlich einen kalten Wind im Gesicht, als schiebe der Maere Bosheit und Angriffslust vor sich her. Jole bäumte sich auf, und die anderen Pferde warfen die Köpfe hoch und begannen zu tänzeln – außer Vendanjis und Miras Tieren, die gelassen stehen blieben. Mira sprang hinab ins Flussbett und zog ihre Schwerter. Vendanji stützte den rechten Unterarm mit der linken Hand und streckte dem Maere die Faust entgegen.
    »All meine Himmel …«, stammelte Braethen. »Ein Maere.« Seine Stimme verriet düstere Ehrfurcht.
    Das

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