Das Gewölbe des Himmels 1: Der Vergessene (German Edition)
die Gewalt und die Herrschaft über mein Reich könnt ihr mir nicht rauben.« Er zeigte ihnen ein grausiges Lächeln. »Seid gewarnt.«
Er stemmte sich gegen das Weiß und brachte ein letztes Wort heraus, ehe seine Iriden und Pupillen endgültig weiß wurden – ein Wort, einen Namen, sein Urteil und letztendlich seinen Triumph: »Quietus.«
So sind denn zwei Dinge ewig wahr und untrennbar verbunden: dass Forda und Forsa oder Materie und Energie oder Körper und Geist weder geschaffen noch zerstört, sondern nur gelenkt, verändert, erneuert werden können – wahrhaftig wohnt alle Macht ihnen inne, fürwahr, selbst die Ersten waren gebunden an eben diese Gesetze bei der Erschaffung dieser Welt als auch aller Welten zuvor wie all jener danach; und dass diese ewigen Elemente auch selbst wählen mögen.
– Aus den apokryphen Schriften des Autors Shenflar, verfasst im Zeitalter der Zwietracht
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DIE RECHTE SPANNUNG
D er Geschmack von Regen auf den Lippen und die Ruhe der bewaldeten Hügel und Täler vertrieben für gewöhnlich alle Sorgen, die Tahn Junell mit sich herumtrug, wenn er auf die Jagd ging. Heute jedoch war in Wald und Himmel nichts von diesem Frieden zu finden. Unwetter hatten das Wild aus den Hügeln getrieben. Über drei Wochen waren vergangen, seit er mit seinem Bogen etwas erlegt hatte. Die Düsternis schloss ihn ein, verbarg den Himmel der Großen Väter und breitete eine unnatürliche Stille über das Land. Selbst der Regen, der doch sonst Erfrischung brachte, fühlte sich jetzt an wie ein schweres Joch auf seinen Schultern, als sollte er wegen des veränderten Himmels etwas unternehmen, doch er wurde nur klatschnass und schmutzig von dem plötzlichen Schauer.
Als der Regen noch stärker wurde, zog sich Tahn in die Vertiefung am Beginn einer trockenen Rinne unter einer Gruppe hoher Tannen zurück. Hier hatte er in der Vergangenheit schon öfter Erfolg gehabt. Er schnitt mehrere tief hängende Zweige ab und lehnte sie auf einer dicken Schicht trockener Nadeln aneinander, so dass er freie Sicht in die Schlucht hatte. Er kauerte sich in seinen provisorischen Unterstand, zog einen Tropfen Harz von einem nahen Zweig und strich ihn sich auf die Zunge, damit die Beute seinen Atem nicht witterte. Dann begann das Warten.
Der Wind flaute ab, als das Gewitter losbrach. Schwerer Regen ergoss sich auf das Land, zerstreute das graue, wässrige Licht und nahm ihm die Sicht. Tahn lauerte konzentriert auf irgendeine Bewegung in der Schlucht.
Nach einigen Augenblicken verlor er sich ein wenig im beruhigenden Rauschen des Regens auf den Bäumen. Tahn war zwar nass und durchgefroren, aber es war angenehm, endlich einmal still zu sitzen.
Seit Wochen war er nun schon täglich auf die Jagd gegangen, doch stets ohne Fleisch für die Feldstein-Taverne zurückgekehrt. Hambley Opawn, der Wirt, wartete ungeduldig auf Wildbret, vor allem, da er gerade viele Reisende beherbergte, die auf die Ankunft des längst überfälligen Vorlesers warteten.
Es war seltsam, dass das Nordsonn-Fest ohne den Auftritt von Ogea, dem Leser, verstrichen war. Vor ihrem Tod waren Tahns Eltern Balatin und Voncencia jedes Jahr mit ihm und seiner Schwester Wendra ins Dorf gegangen, um zuzuschauen, wenn der Vorleser ankam. Die Szene war stets die gleiche: Auf einem kleinen Maultier ritt der Leser stoisch jede Straße in Helligtal entlang. Er sprach nie mit irgendjemandem, sondern verkündete seine Ankunft durch sein langsames Tempo. Ein paar Schritte hinter ihm schlossen sich immer mehr Leute seinem Einzug an. Tahn war stets die eigenartige Stille aufgefallen, die sich auf die Menge herabsenkte: Gespräche erstarben, Karren und Pferde wurden angehalten, sogar Schritte klangen beinahe schleichend. Ogea ritt die gewundenen Straßen ab, so dass jedermann Zeit hatte, von seiner Ankunft zu erfahren, ehe er den Weg zum Wirtshaus einschlug, wo Hambley schon eine Leiter an die Fassade gelehnt hatte. Dann stieg der Vorleser ab und kletterte mit einem großen, in Leder gebundenen Buch zum Balkon an der Ostseite empor. Von dort aus ließ er zunächst den Blick über die Männer und Frauen von Helligtal schweifen, bevor er begann, die alten Geschichten ein weiteres Mal zu erzählen.
Jedes Jahr zu Nordsonn kamen die Leute von weit her zur Feldstein-Taverne, und Tahn hatte stets ein paar zusätzliche Münzen verdient, indem er Hambley mit Fleisch belieferte.
Doch seit der letzten richtigen Ernte war das Wild im Helligtal rar geworden. Selbst ein Viertelteil
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