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Das Gewölbe des Himmels 2: Der Unrechte

Das Gewölbe des Himmels 2: Der Unrechte

Titel: Das Gewölbe des Himmels 2: Der Unrechte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Orullian
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Herz wurde, als er sich den Sheson ins Gedächtnis rief, der ihn daran erinnerte, über sich selbst hinauszublicken.
    Dann spannte er aus reiner Gewohnheit mehrmals kräftig den Bogen, wärmte das Holz und dehnte die Sehne, bevor er sie abnahm. Im Kopf hörte er die Worte: Den Bogen spannen meine Arme, doch der Wille löst den Pfeil. Auch ihre Vertrautheit tröstete Tahn, und er wiederholte sie zweimal laut und brach so das Schweigen. Die Worte strömten von seinen Lippen wie ein Gebet.
    Er hatte vergessen, dass Mira da war.
    Als er aufblickte, sah sie ihn aufmerksam an. Keiner von ihnen sagte etwas, bis er aussprach, was er im Sinn gehabt hatte, seit er ihr in Helligtal begegnet war: »Hat je eine Fern einen Menschen geheiratet?«
    Mira lächelte ihr prachtvolles schiefes Lächeln, antwortete aber nicht. Er ahnte, dass sie ihn necken wollte, indem sie ihm die Antwort vorenthielt. Er hatte noch eine Frage, aber die beantwortete sie schon, bevor er sie stellen konnte: »Ich werde hier sitzen bleiben und Wache halten. Du wirst das Bett für dich allein haben.«
    Dunst und Nebel wallten über die Klippe und leckten am Stein. Die Dunkelheit fühlte sich an wie nasses Laub, das an seiner Haut klebte. Nur ein schwacher Lichtschimmer beleuchtete die Leere jenseits des Felsens, als ob dem Leichentuch, das zwischen dem Körperlichen und dem Unwirklichen lag, eine eigene düstere Energie innewohnte …
    Als Steine unter seinem Absatz knirschten, verschluckte der Nebel den Laut, so dass im Tillinghast weiterhin Grabesruhe herrschte.
    Tahn umklammerte mit der Faust den Bogen. Das einzige Geräusch stammte von dem Leder, das in seinem Griff knarrte. Zu seiner Rechten stand auf der Klippe ein gewaltiger Baum, der in den Schleier aus Dunst und Dunkelheit aufragte. Die Rinde des Baums war so schwarz wie die Nacht ringsum. Er war ein vergessener Wachposten am Rande des Nirgendwo.
    Ein schrilles Zischen erhob sich, als würde Wind über gezackte Felsen fegen. Nebelstrudel wirbelten und lösten sich auf, und in der Dunkelheit, mehrere Schritte vom Ende des Bodens entfernt, begannen die Nebel des Rudierd Tillinghast zusammenzuströmen. Ein Schatten, der die Umrisse eines Augenpaars und eines Mundes bildete, durch den Nebelschwaden flatterten und das Bild für einen Augenblick bestimmten, bevor sie sich auflösten. Die Züge des Gesichts veränderten sich nie. Die Nebel fügten im Vorbeiwehen nur weitere Einzelheiten hinzu.
    Dann verengten sich die Augen und sahen Tahn böse an. Hier gibt es keinen Morgen, Tahn. Aus der Asche des gestrigen Tages steigt kein Hohes Licht empor.
    Die Worte ertönten in seinem Kopf mit der Kraft von tausend Glocken. Tahn presste sich die Hände auf die Ohren, konnte aber nichts gegen das Getöse in seinem Verstand ausrichten.
    Erneuerung, Quilleszent, ist die Magd, die das Unrecht aller Zeiten ungeschehen machen wird, seit der Rat sich aufgelöst hat. Du wirst die Qual zahlloser Menschenalter durchleben, als Spielfigur derjenigen, die zu schwach sind, für das Verbrechen zur Verantwortung gezogen zu werden, das begangen wurde – an mir!
    Das letzte Wort der Stimme ertönte wie eine Totenglocke und ließ den Boden des Tillinghast erbeben. Die gewaltigen Zweige des Baums neben Tahn schwankten in den dicken Nebelbänken.
    Ich werde nicht für immer stumm bleiben, nur weil ich getan habe, was man von mir verlangt hat und was schon so viele Male getan worden ist, wie Sterne vom Himmel scheinen. Es ist ihr Versagen, Quilleszent, ihr Verbrechen, das dich verdammt. Glaubst du, dass du ein Gegengewicht zu einem Land, einem ganzen Volk, einer … Welt bilden kannst? Du bist dir doch selbst noch nicht einmal sicher, was das bedeutet. Tahn erhaschte inmitten der Nebelschwaden einen Blick auf ein boshaftes Lächeln. Und wie schön, dass das Werkzeug, das alle in den Staub niederstrecken wird, genau das ist, wovor die Edlen, die diesen Ort überhaupt erst den Launen der Menschen anheimgegeben haben, solche Ehrfurcht hatten. Weißt du das, toter Mann? Hat der Makel deiner Geburt es dir verraten?
    Tahn zuckte vor den Worten zurück und hob den Arm, um sein Gesicht zu beschirmen, da der Klang in seinem Kopf widerhallte und ihm in den Augen brannte. Ein Grollen in der Erde sorgte dafür, dass große Felsbrocken sich verschoben und umstürzten. Das Krachen von Ästen in der Baumkrone dröhnte wie ein Donnergrollen. Tahn sah sich panisch nach Hilfe um, aber niemand stand auf dem Pfad, der zur Klippe führte. In diesem

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