Das Gewölbe des Himmels 2: Der Unrechte
Unwissenheit eigensinnig, und sie fühlte sich in seiner Nähe wohl.
Und doch war es ein Traum. Sie hatte nur noch wenige Jahre zu leben. Sie hätte nicht über die Verheißung ihrer Berufung hinausdenken sollen, die Bundessprache zu beschützen.
Aber am Grab ihrer liebenden Schwester warf sie sich vor, dass sie vorgehabt hatte, genau das zu tun – ihren eigenen Bund aufzukündigen. Nur, dass ihr Weg sie von den schwarzen Schiefertoren von Naltus fortführte. Sie verabscheute den Gedanken, wie ähnlich sie dadurch vielleicht dem Verbannten Grant werden würde. Wenn sie dem Mann davon erzählt hätte, wäre wohl ein strahlendes Lächeln auf sein ledriges Gesicht getreten.
Lyra, was soll ich tun?
Wie zur Antwort darauf erklangen Schritte auf dem harten Boden. Sie musste sich nicht umdrehen, um zu wissen, wem sie gehörten.
»Ist mir nicht einmal diese eine Stunde vergönnt, um für meine Schwester zu beten?«
»Gebete sind nicht nötig, Mira, das weißt du. Und ich würde dich nicht dabei unterbrechen, ihr die letzte Ehre zu erweisen. Sie war meine Frau, und ich habe sie geliebt. Aber deine Gefährten machen sich zum Aufstieg in die Saeculoren bereit, und ich möchte gern deine Antwort hören.«
»Ein Mensch würde deinen Antrag nicht besonders zärtlich finden.« Mira strich mit den Händen über die Inschrift mit dem Namen ihrer Schwester.
Die Stimme des Fernkönigs wurde sanfter. »Wir sind keine Menschen. Uns ist ein anderes Schicksal bestimmt.«
»Ein besseres?« Ihre Stimme war vorwurfsvoll.
Seiner Natur gemäß antwortete Elan: »Nein, Mira. Aber es ist eine hohe Berufung, an die wir gebunden sind. Mir bleibt selbst auch nicht mehr viel Zeit auf dieser Welt. Ich handle nur im Interesse unseres Auftrags hier an diesem abgelegenen Ort. Das musst du doch wissen.«
Schweigen senkte sich in der Halle des Abschieds herab. Elan bedrängte sie nicht weiter, ging aber auch nicht.
Mira blieb auf den Knien und grübelte weiter. »Sag mir, was ich tun soll«, flüsterte sie dem toten Körper ihrer Schwester zu.
Sie stand auf und wandte sich Elan zu. Er war ein guter König, stark und ein hervorragender Stratege. Er trat sanft an sie heran und berührte ihr Gesicht. Aus seinen Augen sprach aufrichtiges Mitgefühl.
»Es ist nicht so einfach«, sagte sie.
»Selbst bei einem Volk wie den Fern ist die Bürde der Herrschaft nicht mühelos zu schultern.« Er lächelte, und ein matter Ausdruck trat auf sein Gesicht, was sie bei ihm noch nie zuvor erlebt hatte. Vielleicht würde es ein glückliches letztes Kapitel ihres kurzen Lebens sein, an seiner Seite zu sitzen und einen Erben zur Welt zu bringen.
»Ich bin ehrlich und freundlich«, sagte er. »Das ist so wahr, wie es notwendig ist, die Traditionen und die Herrschaft fortzuführen, die wir eingesetzt haben, und zu dem Zweck muss es ein Kind geben.«
Mira sah den Fernkönig an und schenkte ihm ihrerseits ein mattes Lächeln. »Feinsinnig«, sagte sie.
Ein verwirrter Ausdruck trat auf sein Gesicht, verschwand aber rasch wieder, als er sie auf den Stallhof hinausbegleitete. Dort, im strahlenden Sonnenschein von Naltus, küsste sie ihn auf die Wange, während ihre Gefährten einer nach dem anderen aus dem Haus des Königs ins Freie kamen. »Ich muss das hier erst zu Ende führen.« Sie wandte den Blick ab und sah zu den Saeculoren hinüber. »Aber ich habe eine Bitte an meinen König.«
König Elan zog eine Augenbraue hoch und wartete.
»Du sagst, dass wir das Schicksal der Menschen nicht teilen. Aber wenn der Schleier fällt, ist unser Schicksal unentrinnbar mit ihrem verknüpft.« Mira kam sanft, aber entschlossen auf ihre Bitte zu sprechen: »Wir müssen unseren Platz beim Großen Mandat einnehmen. Die Menschenwelt braucht unsere Kraft und Weisheit. Die meisten glauben nicht länger an das, was wir sind, und die Regentin hat es in ihrem eigenen Herrschaftsgebiet mit Aufwiegelung zu tun. Die Sheson werden gejagt. Elan …« Mira berührte ihn sacht am Arm. »Du musst gehen, den Sitz in der Versammlung einnehmen und ihnen in Erinnerung rufen, was sie vergessen haben und welche Hoffnung dank des Hüteramts, das wir versehen, vielleicht noch für sie besteht.«
Mehrere Augenblicke vergingen, bevor der König antwortete. »Mira, du verlangst etwas Außergewöhnliches von mir, obwohl du es zugleich hinauszögerst, meine eigene Bitte zu beantworten. Unser Volk braucht eine Königin und den Fortbestand der Dynastie. Was du verlangst, ist sogar noch
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