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Das Gewölbe des Himmels 2: Der Unrechte

Das Gewölbe des Himmels 2: Der Unrechte

Titel: Das Gewölbe des Himmels 2: Der Unrechte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Orullian
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werden, zum Gespött machen wirst.« Das Lächeln wurde zu einem leisen Lachen, und der große Mann hob Tahn hoch, als wäre er nur eine Vogelscheuche. Er legte ihn auf die Ladefläche eines Wagens und band Jole an der Hinterachse fest. Das linke Ohr auf die Wagenplanken gepresst, lauschte Tahn dem Knarren und Rumpeln der Räder und fragte sich, warum er gelähmt der Liga in die Hände gefallen war.
    Gehone kutschierte sie eine ganze Weile, bis sie am Ende in eine Kleinstadt gelangten. Er lenkte den Wagen aus dem Licht der Hauptstraße in ein dunkles Seitengässchen. Fledermäuse sausten durch die Luft, schossen tief über den Wagen hinweg. Gehone hielt an, hob Tahn ohne weitere Umstände hoch und brachte ihn ins Haus, direkt zu einem Bett. Tahn sah ihn davongehen und kurz darauf mit Sutter zurückkehren, den er auf ein zweites Bett an der gegenüberliegenden Wand legte. Mit väterlichem Desinteresse zog der Ligat Tahn und Sutter die Kleider aus und deckte sie mit warmen Wolldecken zu.
    Aus einem Beutel an seinem Gürtel holte Gehone einen kleinen Krug hervor. Mit einem dicken Finger entnahm er ihm eine großzügige Portion zähflüssiger grüner Salbe. »Nimm das unter die Zunge«, sagte er und beförderte den klebrigen Brei in Tahns Mund. Dann nahm er noch einen Finger voll und verstrich ihn sanft auf Tahns Lippen. Das Gleiche tat er bei Sutter, klappte den Mund des Rübenbauern für ihn auf und strich ihm die Paste unter die Zunge.
    Gehone hielt sich nicht lange auf, sondern erhob sich und verließ das Zimmer; die Laterne nahm er mit. Tahn wartete im Dunkeln und rechnete damit, dass gleich jemand durch die Tür stürmen und anklagend den Finger auf Sutter und ihn richten würde. Stattdessen hörte er nur das schwache Röcheln seines Freundes. Pfefferminze und Petersilie kühlten ihm die Zunge, und ein angenehmes Gefühl stahl sich in ihn, lud ihn ein, wieder zu schlafen. Bevor er von der Erschöpfung übermannt werden konnte, hielt er nach seinem Umhang Ausschau und sah ihn an einem Haken neben der Tür hängen. Er konnte nicht erkennen, ob die Stäbe noch da waren, aber er hatte Gehone nicht in seinen Habseligkeiten herumwühlen sehen. In der Hoffnung, dass die Lähmung bis zum Morgen verschwinden würde, fragte sich Tahn wie aus weiter Ferne, ob er vor Sonnenaufgang erwachen würde, wie er es immer getan hatte, oder ob er diesmal einfach weiterschlafen würde, verloren in der Dunkelheit hinter seinen Augen, während die Taubheit sich weiter in ihm ausbreitete und sein Herz stehen bleiben ließ.
    »Was sie dir erzählt haben, sind Lügen.« Die körperlose Stimme drang zu ihm wie ein Flüstern, das vom schwitzenden Gestein einer versiegelten Höhle widerhallte. »Flieh vor uns, dann fliehst du vor dir selbst.«
    »Lügen?«, fragte Tahn. »Was für Lügen?«
    »Alle Aufzeichnungen, über die ihr verfügt, entströmen der Feder von Historikern und Autoren, die den Gräuel der Weißung vergessen haben«, krächzte die Stimme zornig und schwoll zu einem Knurren an. »Ihr seid es, die gefangen sind, gefesselt mit Handschellen, die ihr nicht sehen könnt. Und doch geht ihr in Ketten bis an den Abgrund – wohin man immer geht –, um das Leben fortzuwerfen, das euch so wichtig ist.« Heulendes Gelächter folgte, ein brüchiges, schmerzliches Geräusch wie das fallender Kristalle.
    »Das verstehe ich nicht«, sagte Tahn und lief los. Blind zwang er sich, die Beine zu heben. Er hielt die Hände vor sich ausgestreckt und bewegte sich immer schneller durch die Dunkelheit.
    »Ist das der Wille, den du für dich in Anspruch nimmst? Ins Nichts zu rennen? Aus dem Nichts?« Die Stimme wurde wieder leiser. »Das liegt daran, dass du ein Nichts bist. Ein Nichts vor dem Allwillen. Ein Nichts, das der Stille gehört und zurückkehrt – in die Stille.« Das letzte Wort klang so leise, dass Tahn glaubte, es gar nicht zu hören.
    »Nein!«, schrie Tahn. Er ließ die Arme sinken und nahm die Beine in die Hand, vergaß die Gefahr, gegen irgendetwas zu rennen, und hastete immer schneller durch die Abwesenheit des Lichts.
    »Wie viele Sonnen noch, Quilleszent? Wie viele noch, bis die Seiten brennen, das Lied zu Ende ist und die Kehlen der Leiholan kreischen, weil der Bund gebrochen ist und alle Verheißungen der Menschen sich als albern und unerfüllt erweisen, genau wie der Verrat der Vielen an dem Einen? Schlaf, Quilleszent, wie im Schlaf des Borns. Dorthin gehörst du. Wir sind du.«
    Tahn versuchte zu schreien, doch kein Laut drang

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