Das Gewölbe des Himmels 2: Der Unrechte
größerer Schnelligkeit anzutreiben. Er schüttelte den Kopf und schleppte sich durch Schlamm und Mulch bis zu dem toten Holz. Auf der Seite liegend, zog er zwei lange Äste und ein kürzeres Holzstück aus dem Gewirr.
Indem er gegen den wachsenden Schmerz ankämpfte, holte er einen Strick von Joles Sattel. Er schnürte die Hölzer zu einem schmalen Dreieck zusammen und spannte eine Schlinge zwischen die Holme, bevor er seine Decke darüberbreitete.
Dann nahm er die Zügel der Pferde und hoffte, dass es ihm gelingen würde, die Trage sicher zu befestigen und die Nordschlucht zu finden.
Ein Blitz, der oben am Himmel aufflammte, erhellte die Wildnis. Nur eine Sekunde später dröhnte ringsum ein machtvoller Donnerhall. Sutters Pferd bäumte sich auf und versuchte sich loszureißen. Tahn hielt dagegen, obwohl die Zügel ihn hochzogen wie eine Marionette, deren Beinfäden man durchtrennt hatte. Das Pferd stieg erneut; diesmal riss es Tahn das Leder aus der Hand und schürfte ihm damit die Handfläche auf. Binnen eines Augenblicks war das Pferd in der Dunkelheit der Wildnis verschwunden. Jole rollte wild die Augen und stampfte mit den Hufen, aber er riss Tahn die Zügel nicht aus der Hand.
Nachdem Tahn Jole zu Sutter hinübergeführt hatte, versuchte er, die Trage an Joles Sattelknauf zu befestigen. Aber als Tahn aufstand, wurde ihm schwindlig, und er fiel zu Boden. Er schlug auf seine Beine ein, spürte aber nichts, und die Taubheit breitete sich bis in seine Finger und seinen Rücken aus. Was geht hier vor? Dafür habe ich keine Zeit. Er vergrub das Gesicht im Schlamm und schrie seine Enttäuschung heraus, schmeckte das fruchtbare Erdreich und das verrottende Laub vom Vorjahr, Milben und Würmer. Die Erde erstickte seinen Schrei.
Tahn kroch zu Sutter zurück, um ihn auf die Trage zu wälzen. Als er an der Schulter seines Freundes zog, schlug der Rübenbauer die Augen auf, deren Ausdruck schmerzlich, aber klar wirkte. »Lass mich hier.«
»Was?«, fragte Tahn, dessen Kopf vor Schmerzen in Flammen stand.
»Du schaffst es nicht, wenn du mich so mitschleifst. Und ich kann den Ritt über die Wurzeln nicht durchhalten.« Sutter verzog das Gesicht und versuchte zu lächeln. »Wie gefällt dir das, Eichhörnchen? Mir werden genau die Dinge zum Verhängnis, vor denen ich zu fliehen versucht habe.«
Tahn beachtete ihn gar nicht. Er zog an Sutters Schulter und drehte seinen Freund auf den Rücken. Dann kämpfte er sich auf die Knie hoch und hievte Sutter auf die Trage. Er holte die Decke und breitete sie über ihn. Sutter war durchnässt, aber die Wolle würde ihn warm halten. Tahn sah wieder zu Jole hinüber. Wie sollte er die Trage befestigen und selbst aufs Pferd steigen?
Noch ein Blitz flammte auf, und der Donner schien bereits zu grollen, bevor das Licht auch nur verblasst war. Das Geräusch übertönte das Prasseln des Regens und Tahns eigenen Herzschlag, der ihm in den Ohren dröhnte. Regenwasser lief ihm in die Augen und ließ ihm die Haare an Hals und Wangen kleben. Im Geiste versuchte er, sich an die Worte des Mannes in seinem Traum zu erinnern, und berührte das vertraute Mal auf seinem Handrücken. Doch alles, voran er denken konnte, waren die Wasserhose, die einen Hirsch in einen schlammigen, nassen Tod getrieben hatte … und der Augenblick, in dem er es versäumt hatte, Wendra im Kindbett zu rächen.
Sein Freund begann unzusammenhängend vor sich hin zubrabbeln: »Der Geist ist nicht ganz, Tahn. Er ist nicht ganz. Er kann geteilt werden. Verschenkt. Genommen. Kleine Stücke können vom Ganzen abgespalten werden …«
Tahn hielt inne, um seinem Freund zuzuhören. Eine seltsame Wahrheit sprach aus Sutters verwirrtem Gestammel. Dann wurde Sutter ohnmächtig. Zumindest war der Schmerz aus seinem Gesicht verschwunden. Tahn atmete keuchend; mittlerweile pochte seine Kehle genauso, wie sein Kopf schmerzte und brannte. Er fragte sich, ob Sutter vielleicht davon träumte, in der stillen Dämmerung eines warmen, wolkenlosen Morgens zu erwachen.
Tahn ließ sich auf den Bauch fallen und kroch zu Jole hinüber. Er nahm den Strick zwischen die Zähne, schnitt noch ein Stück ab und band das andere Ende ans obere Ende der Trage. Dann packte er den Steigbügel und zog sich hoch. Als er auf den Beinen war, spürte er nicht, dass er stand; nur seine Augen verrieten es ihm. Er hakte den Arm unters Knie und zog so den Fuß zum Steigbügel hoch, rammte seinen Stiefel hinein und packte den Sattelknauf. Seine Hände wurden
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