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Das Gewölbe des Himmels 2: Der Unrechte

Das Gewölbe des Himmels 2: Der Unrechte

Titel: Das Gewölbe des Himmels 2: Der Unrechte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Orullian
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taub, und er spürte auch nicht mehr, wie der Sattel ihm gegen den Brustkorb drückte. Mit großer Kraftanstrengung stieß er sich über den Sattel hoch und rutschte hin und her, bis sein Bein über Joles andere Flanke fiel. Es gelang ihm, auch den zweiten Stiefel in den Steigbügel zu schieben, und er zog den Strick zwischen den Zähnen hervor und schlang ihn um den Sattelknauf. Mit unbeholfenen Fingern knotete er ihn fest und tat dann einen tiefen, brennenden Atemzug.
    Auf dem Boden floss nun Wasser in kleinen Rinnsalen und bildete Pfützen in flachen Vertiefungen. Tahn war froh, dass Sutter das Bewusstsein verloren hatte: So würde er das Holpern der Trage über die Wurzeln nicht spüren.
    Zuletzt schnitt Tahn noch ein Stück von seinem Strick ab und band es sich selbst um die Taille. Dann schnürte er die Enden ebenfalls um den Sattelknauf.
    Mit einem Zungenschnalzen, das Jole galt, ließ er die Zügel schießen. Er würde darauf vertrauen, dass sein alter Freund sie voran- und aus der Wildnis hinausbringen würde. Auf mehr konnte er sich nicht konzentrieren. Bäume zogen an ihm vorbei, und jeder sah so aus wie der vorherige. Tahns Augen brannten, als hätten auch sie Fieber, und wenige Momente später spürte er seine Arme und seine Brust nicht mehr. Er fiel vornüber, versuchte, das Gleichgewicht zu halten, und flüsterte Jole aufmunternde Worte zu, bis die Taubheit sein Gesicht erfasste und ihm die Fähigkeit zu sprechen raubte.
    Und weiter ging es. Tahn blieb wach, kam sich aber im Sattel wie kaum mehr als ein Satz Tarnkleidung vor. Der Regen ließ nicht nach, und der Donner erschütterte den Waldboden so heftig, als würden die Blitze aus der Erde emporschießen. Große Pfützen sammelten sich auf tiefer gelegenem Gelände, und Jole trabte hindurch, suchte sich einen Weg. Der Wind heulte in den Bäumen, zerzauste die nassen Blätter und ließ Regen in einem Schwall auf sie niedergehen. Tahn hoffte, dass Sutter dabei nicht von der Trage geschleudert wurde, denn wenn das geschehen sollte, würde keiner von ihnen es je erfahren.
    Nach einer schier endlos wirkenden Reihe von Stunden trat Jole zwischen den Bäumen hervor, als würde er durch einen Vorhang schreiten. Weniger als vier Schritte von ihnen entfernt erhob sich die Nordwand in der Schwärze. Jole blieb stehen, um einen Wink seines Reiters abzuwarten, erhielt aber keinen. Tahn stieß einen erstickten Laut tief im Rachen hervor, um ihn anzutreiben, und Jole wandte sich nach rechts und folgte der Felswand. Nach einer kurzen Strecke öffnete sich die Klippe zur Linken zu einer schmalen Spalte wie der Vielstimmenschlucht. Regenwasser floss als flacher Strom aus der Mündung der engen Klamm in die Wildnis. Tahn stöhnte noch einmal, und Jole bog in die Schlucht ab und brachte sie aus Steinsberg fort.
    Das Rauschen des Wassers hallte endlos zwischen den hohen Felswänden beiderseits der schmalen Straße wider. Die Schatten in der Schlucht waren undurchdringlich, so dass sie sich nur am fließenden Wasser orientieren konnten. Das Tosen des Regens und des Stroms übertönte alle Gedanken, und nur der unablässige Schmerz blieb in Tahns Kopf zurück. Jeder Herzschlag erinnerte ihn daran, dass er am Leben war, und so wurde die fiebrige Qual für ihn bald zu einem Dankgebet.
    Aber würde Sutter überleben?
    Die Nacht zog sich dahin, und Tahn fragte sich, wie lange Jole wohl noch durchhalten konnte.
    Schließlich war die Schlucht zu Ende. Tahn stöhnte erneut, und Jole verstand, dass er haltmachen sollte. Der Sturm hatte sich etwas gelegt; die Regentropfen waren nicht mehr ganz so schwer und prasselten weniger heftig als zuvor auf sie ein. Tahn reckte den Kopf so hoch er nur konnte und blickte nach Osten. Er malte sich aus, wie die Sonne die Wolken wegbrannte, die Baumwipfel in orangefarbenes Licht tauchte und Dampf aus dem Boden aufsteigen ließ, während der Regen in der frühmorgendlichen Wärme verdunstete. Er stellte sich den Geruch nach frischem Grün und das Schlagen von Vogelflügeln vor. Das vertraute Bild hätte ihn in der Zeit, bevor die ersten Bar’dyn nach Helligtal gekommen waren, gewärmt. Jetzt, da er ohne Gefühl im Körper auf Joles Rücken saß, hoffte er nur zu überleben, weil Sutter seine Hilfe benötigen würde.
    Tahn war für die Wolkendecke dankbar. Irgendwie brauchte er heute die Sonne nicht. Sie konnte, soweit es ihn betraf, gern hinter dem Schleier aus trübem Licht verborgen bleiben, das den Sturm durchdrang. Er musste Sutter in

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