Das Gift der Engel
sich ruhen.
Wo war das Zitat hergekommen? Es war, als habe sich in seinem Inneren eine verborgene Tür geöffnet. Ahnung und Gegenwart, dachte Alban. Was flüstert mir jetzt diese Worte ein?
So, sagte Friedrich, dessen Herz recht weit und vergnügt war, so muss vor vielen hundert Jahren den Rittern zumute gewesen sein, wenn sie bei stiller, nächtlicher Weile über diese Berge zogen und auf Ruhm und große Taten sannen …
Wenn jemand trunken von Eichendorff war, konnte er sich hier durchaus in diese romantische Welt hineinsteigern. Vor allem in hellen Sommernächten …
Er blieb in den Anblick der weiten Hügel versunken. Dann ertappte er sich dabei, wie seine Augen einem kleinen schwarzen Punkt folgten, der sich weit oben am Himmel bewegte. Ein einsamer Vogel, der seine Kreise zog.
Alban erschrak, als plötzlich jemand hinter ihm aus dem Wald kam. Er dachte, es sei Simone, die ihm gefolgt war. Doch dann trat ein bärtiger alter Mann auf den Vorsprung, blickte sich um und lächelte Alban freundlich an. Ein Wanderer. Einer von der altmodischen Sorte. Kniebundhosen aus Cord, dickes Flanellhemd, ein großer grauer Rucksack, wie ihn Alban als Kind besessen hatte. Auf der Brust baumelte ein schwarzes Fernglas.
»Das ist eine Aussicht, was?« Die Stimme war tief und volltönend.
Alban nickte und deutete auf den Weg, der den Berg hinunterführte. »Können Sie mir sagen, wo man dort hinkommt?«
Der Mann sah Alban an. »Haben Sie sich verlaufen?«
»Nein. Aber es wäre schön, nicht auf demselben Weg zurückzukehren.«
»Wo sind Sie denn losgegangen?«
Alban erklärte, wie sie von Remagen aus hier heraufgekommen waren.
»Dort unten kommen Sie schon nach Remagen zurück. Allerdings müssen Sie an dem Anwesen vorbei. Geben Sie acht, dass Sie den Weg nicht verfehlen.«
»Was für ein Anwesen?«
»Es gibt da ein großes altes Haus. Halten Sie sich immer nahe der Mauer, bis sie an das Tor kommen. Von dort führt ein Weg ins Rheintal hinunter.«
»Wohnt in dem Anwesen jemand?«
»Seit Jahren nicht mehr.«
Alban bedankte sich und wandte seinen Blick wieder der Landschaft zu. Irgendwann sah er auf die Uhr und erschrak. Aus den zehn Minuten war fast eine halbe Stunde geworden. Er wandte sich um und wollte in den Wald zurück. Da sah er zwischen den Bäumen eine Bewegung. Es war Simone. Er konnte ihrem Gesicht ansehen, dass sie verärgert war.
»Da warte ich und warte … Der Weg war da oben übrigens zu Ende.«
»Ich habe jemanden gefunden, der mir den Weg runter nach Remagen beschrieben hat. Der Herr ist auch hier unterwegs.«
»Welcher Herr?«
Alban drehte sich um. Der Wanderer war nicht mehr zu sehen.
»Aber da war jemand! Ich habe doch mit ihm gesprochen!«
Simone schüttelte den Kopf.
»Seltsam. Wenn er in den Wald zurückgegangen wäre, hätte er dir begegnen müssen. Und hier den Hang runter hätte er es in den paar Sekunden kaum schaffen können.«
Sie hatten die steilen Serpentinen hinter sich gelassen und standen an der Stelle, wo der Weg in einen dunklen Waldtunnel führte.
»Hauptsache, er hat recht«, sagte Simone, »und wir kommen wieder zurück.«
Sie duckten sich, als sie die niedrigen Bäume passierten, und gelangten in ein kleines Tal, in dem links von ihnen in einem tiefen Graben ein dünnes Rinnsal floss. Ob sie jetzt im Taubental waren?
»Da unten geht’s nicht weiter«, sagte Simone.
Alban erkannte eine bräunliche Fläche hinter den Bäumen, und als sie weitergingen, standen sie vor einer alten Natursteinmauer. Sie wirkte verwittert und war an vielen Stellen mit Flechten und Efeu überwachsen. Alban schätzte, dass sie mindestens drei Meter hoch war.
Was hatte der Mann gesagt? Sie sollten der Mauer folgen, bis sie an den Eingang kamen. Immerhin konnte man sich zwischen der Wand und den angrenzenden Sträuchern hindurchquetschen.
Simone ging voran. Der Boden war matschig. Alban, der nur Halbschuhe trug, musste aufpassen, dass er nicht zu tief einsank.
Ein Stück weiter kamen sie an einer Lücke in der Mauer vorbei. Offenbar hatte es hier früher eine Gartenpforte oder einen Nebeneingang gegeben, der jetzt allerdings durch ein Gitter ersetzt worden war. Dahinter war ein dreistöckiges, lang gezogenes Haus zu erkennen. Es stand mitten auf einer ausgedehnten Grasfläche. Pechschwarze Fensterreihen starrten ihnen entgegen. Das Gebäude sah nicht heruntergekommen aus. Trotzdem schien es leer zu stehen.
»Lass uns weitergehen«, sagte Alban.
Der Weg schien kein Ende zu nehmen,
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