Das Gift der Engel
stammt?«
Alban blickte in ihre großen grünen Augen und schüttelte den Kopf. »Leider nicht. Aber seit wir neulich die Arie durchgegangen sind, konnte ich doch ein paar Erkenntnisse gewinnen.« Alban berichtete von den Untersuchungen, die Jung an der Partitur vorgenommen hatte, und er fasste auch deren Ergebnisse zusammen. »Es scheint sich um ein Arrangement zu handeln.«
»Merkwürdig, was diese Musikwissenschaftler so alles mit Musik anstellen«, sagte Fiona. »Sie scheinen völlig zu vergessen, dass es bei Musik doch um Kunst geht. Um Gefühle. Um Ausdruck.«
»Dem kommen sie manchmal auch auf die Spur. Das nennen sie dann Musikpsychologie. Damit es einen wissenschaftlichen Namen hat.«
»Meiner Schwester hat das Stück gut gefallen. Ich soll Ihnen ausrichten, dass sie sich sehr freuen würde, wenn Sie ihr eine Kopie der Partitur überlassen könnten. Sie hat wirklich Lust, die Arie zu studieren. Oder es zumindest zu versuchen.«
»Wir müssen darauf Rücksicht nehmen, dass sie mir nicht gehört. Streng genommen ist die Partitur im Besitz von Dr. Jochs Bruder. Er hat mich sogar eine Erklärung unterschreiben lassen. Ich muss die Handschrift bald zurückgeben. Aber vielleicht finden wir einen Weg.«
Die Tür ging auf, und Kessler kam zurück, in jeder Hand ein gefülltes Weinglas. Stollmann ließ noch auf sich warten.
Fiona ging mit ihrem Wein zur anderen Seite des Raumes und beschäftigte sich wieder mit Albans Büchern.
»Ach ja, die Partitur«, sagte Kessler. »Hast du sie noch hier?«
»Sicher«, sagte Alban und hoffte, dass sich jetzt kein Gespräch über dieses Thema entspann. Der Abend sollte nur der Quartettprobe gehören. Alles, was dabei störte, hatte in den nächsten zwei, drei Stunden hier nichts verloren.
»Am besten, du gibst sie mir jetzt gleich, damit ich sie nachher nicht vergesse.«
Alban sah ihn überrascht an. »Warum das denn? Ich darf sie noch eine knappe Woche behalten. Das ist mit Herrn Joch so vereinbart.«
Kesslers Blick veränderte sich. Da war er wieder, der strenge Hauptkommissar.
»Die Vereinbarung ist hinfällig. Du kennst die neuen Entwicklungen nicht.«
»Was für Entwicklungen?«
»Wir haben Arne Zimmermann überführt. Der Fall ist geklärt.«
»Geklärt?«
»Wir haben einen Zeugen gefunden. Er hat gesehen, wie Zimmermann die Leiche auf der Baustelle versteckte.«
Wieder öffnete sich im Hintergrund die Tür, und Stollmann, einen heiteren Ausdruck auf dem Gesicht, kam herein. »Na, meine Damen und Herren«, sagte er fröhlich. »Können wir?«
Kessler beachtete ihn nicht. »Ich habe dir von Anfang an gesagt, dass es nur eine Frage der Zeit ist.«
»Aber warum braucht ihr die Partitur?«
»Zimmermann hat versucht, damit von sich abzulenken, als er dich besucht hat. Sie ist ein Beweisstück.«
Alban schüttelte den Kopf. »Das ist alles nicht wahr. Du musst dir unbedingt anhören, was ich herausgefunden habe.«
Stollmann und Fiona taten so, als hörten sie den Disput zwischen Alban und Kessler nicht. Sie holten ihre Instrumente aus den Kästen und nahmen Platz.
»Herausgefunden? Zimmermanns Unschuld?«
»So einfach ist das nicht. Aber an dieser Partitur hängt eine ganze Geschichte. Sie ist Teil eines geheimnisvollen Plans. Da hat jemand etwas vor.«
»Nikolaus«, sagte Kessler ganz ruhig, »ich weiß, dass dich dieses Stück interessiert. Dass du etwas über diese Arie herausfinden willst. Aber es war doch von Anfang an klar, dass das alles nichts mit dem Mord an Dr. Joch zu tun hat.«
»Und was ist mit dem Mord an Dagmar Dennekamp? Hat es damit auch nichts zu tun? Es gibt eine Verbindung zwischen diesen beiden Fällen, Gerhard, da bin ich mir absolut sicher.«
»Noch mal: Kannst du es beweisen?«
»Die Orchesterbegleitung zu der Arie ist in einem Kölner Studio auf CD aufgenommen worden. Und eine Kopie davon fand sich unter den Sachen von Dagmar Dennekamp.«
»Wo ist diese CD?«
»Gestohlen. Das weißt du doch. Am Samstag ist hier jemand eingedrungen und hat sie mitgenommen. Nur die CD. Nichts anderes.«
»Soviel ich weiß, ist es nicht strafbar, CDs aufzunehmen.«
»Aber jemand bauscht das zu einem riesigen Geheimnis auf.«
Kessler wandte sich ab und holte sein Cello aus dem Kasten. »Gibt es denn in der Musikbranche keine Geheimniskrämerei? Vielleicht hat jemand Angst, dass ihm ein anderer eine Idee klaut? Oder ein Stück?«
»Warum hat der Einbrecher dann die Partitur nicht mitgenommen? Sie lag direkt daneben. Aber es ging ihm nur um
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