Das Gift der Engel
zu tun hat, als wir dachten?«
In der Beethovenallee erwartete sie ein völlig ausgehungerter und durch lautstarkes Miauen protestierender Zerberus, der sogleich Witterung aufnahm, als Simone in die Küche ging. Sie holte eine angebrochene Dose Katzenfutter aus dem Kühlschrank. Zerberus konnte seinen Charme sehr gezielt einsetzen, wenn er Hunger hatte. Laut schnurrend strich er Simone um die Beine. Als der Napf mit dem Futter endlich auf seinem Fressplatz stand, war es mit der höflichen Werbung vorbei. Der Kater löste sich von Simone, stürzte seinem Napf entgegen, und das Schnurren verwandelte sich in gefräßiges Schmatzen.
Alban sah auf die Uhr. In dreieinhalb Stunden kamen die Gäste zum wöchentlichen Quartettspiel. Eine Woche, dachte er. Eine Woche ist es her, dass Dr. Jochs Leiche gefunden worden war. Die sieben Tage kamen ihm vor wie ein halbes Jahr.
»Ich gehe nach oben und bereite alles vor«, sagte er. Er trug zwei Kartons in den Händen, die der Postbote einfach vor die Haustür gestellt hatte.
In seinem Büro angekommen, schnitt er die Pappe auf und holte die CD-Stapel aus der Verpackung. Er warf einen beiläufigen Blick auf die Titel. Es war nur wenig dabei, was ihn neugierig machte. Klavierwerke von Jacques Offenbach. Das war sicher etwas, worauf die Welt gewartet hatte. Sie war offensichtlich der Operettenmelodien des Komponisten überdrüssig. Er öffnete die zweite Kiste. Mozart-Klaviersonaten, Cellosonaten von Beethoven, das Streichquartett von Ravel …
Alban türmte die Stapel auf. Einiges davon konnte er nachher gleich Fiona Bertram mitgeben. Er sammelte ein paar Aufnahmen zusammen, die er verschenken wollte, und als er sie auf dem Schreibtisch ablegte, bemerkte er das blinkende rote Lämpchen am Anrufbeantworter.
Er drückte die Wiedergabetaste. Die Stimme von Dr. Schneider schallte durch den Raum.
»Schade, dass ich Sie nicht persönlich antreffe, Herr Alban. Es hat sich etwas in unserem Fall getan. Leider nichts Erfreuliches. Ich bitte um Rückruf.«
Alban wählte die Nummer des Anwalts. Die Vorzimmerdame meldete sich. »Es tut mir leid, Herr Dr. Schneider ist bereits außer Haus. Versuchen Sie es bitte morgen wieder.«
Alban bedankte sich und wählte Dr. Schneiders Privatnummer. Niemand hob ab. Dann versuchte er es bei Dottore Bernardi. Nach dreimaligem Klingeln ging der Anrufbeantworter an, den Alban schon kannte.
Er seufzte, steckte das Telefon auf die Ladestation und machte sich daran, die Pulte aufzubauen.
Wie immer waren es Fiona und Stollmann, die als Erste ankamen.
Hoffentlich lässt uns Gerhard nicht hängen, dachte Alban. Vor allem nach dem Ärger gestern.
Kaum hatte sich Stollmann seines Mantels entledigt und Simone in der Küche um den obligatorischen Wein gebeten, klingelte es erneut. Alban öffnete, und draußen stand Kessler.
Alban überprüfte den Gesichtsausdruck des Hauptkommissars. Er wirkte entspannt. Offenbar war er nicht nachtragend. Umso besser, dachte Alban und spürte, wie innerlich eine Last von ihm abfiel.
Kessler rieb die Hände aneinander. »Kalt geworden«, sagte er.
Alban begrüßte ihn und nahm Stollmanns Geigenkasten mit nach oben. Kessler und Fiona folgten mit ihren Instrumenten.
»Ich hoffe, dass wir heute ein gutes Stück weiterkommen«, sagte Alban.
»Hast du dich eigentlich mal erkundigt, ob wir das Beethovenhaus bekommen?«, wollte Kessler wissen. »Schließlich haben wir ja vor, irgendwann öffentlich aufzutreten.«
Er hat noch bessere Laune, als ich dachte, überlegte Alban. Normalerweise war es immer Kessler, der solche Pläne kritisch betrachtete.
»Hast du nicht gesagt, dass du es dir als Polizeikommissar nicht leisten kannst, dich öffentlich zu blamieren?«
»Ich sehe das jetzt alles viel lockerer. Ich habe einen guten Stand in der Behörde, weißt du. Vielleicht werde ich auch demnächst befördert.«
»Zu was denn? Zum Polizeichef?«
Sie betraten Albans Arbeitszimmer. Fiona war anzusehen, dass sie Albans Ironie verstand. Kessler dagegen ging ihm voll auf den Leim. »So schnell geht das nicht«, sagte er. »Aber mal sehen …«
»Wenn ihr etwas trinken möchtet – ein Glas Wein oder etwas anderes«, sagte Alban.
Kessler nickte. »Kümmer du dich mal um Frau Bertram. Ich geh runter und lass mir etwas von Simone geben. Ich bringe Ihnen ein Glas mit, Fiona.«
»Wie sieht es denn mit dieser geheimnisvollen Partitur aus?«, fragte sie, als Kessler hinausgegangen war. »Haben Sie herausgefunden, von wem das Stück
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