Das Gift der Engel
Problem.«
»Welches?«
»Ein italienischer Sänger als Solist in der Matthäuspassion ist eher ungewöhnlich.«
»Warum das denn? Gibt’s in der Musik Nationalismus?«
»Es gibt bestimmte Repertoiretraditionen. In Italien singt man eher Oper. Doch Ausnahmen bestätigen die Regel. Ich werde mich gleich darum kümmern. Ich sehe mir an, was in den letzten Jahren in der Gegend aufgeführt wurde und welche Schallplattenaufnahmen es gibt. Und ich werde noch mal versuchen, Herrn Bernardi zu erreichen.«
Simone stand auf und brachte ihr Geschirr in die Spülmaschine. »Ich muss heute arbeiten. Das Wetter ist ideal.«
»Ich sag dir dann heute Abend, was ich herausgefunden habe.«
»Falls sich an die Untersuchungen wieder irgendwelche Rundfahrten anschließen: Ich gehe heute Abend mit einer Freundin ins Kino. Also bis dann.«
Sie verließ die Küche, und ein paar Minuten später hörte Alban, wie die Haustür ins Schloss fiel. Kurz darauf röhrte draußen der Diesel von Simones Laster.
Alban sah auf die Uhr: halb neun. Noch zu früh, um ein paar seiner Kontakte spielen zu lassen. Aber genau die richtige Zeit, um sein Archiv zu durchforsten.
Als Erstes untersuchte er die CD-Einspielungen der Matthäuspassion, die er selbst besaß.
Was mache ich, wenn irgendwo tatsächlich ein Italiener mitsingt?, fragte er sich. Soll ich ihn aufsuchen und ihn fragen, ob er schon mal in Remagen war?
Seine Aufnahmen gaben keinen Hinweis, und die Schallplattenkataloge, die er durchging, auch nicht. Er stellte sich vor ein anderes Regal und reckte sich, um an einige Stehordner zu kommen, die sich in der obersten Reihe befanden. Sie enthielten Programmhefte von Konzerten, die Alban besucht hatte.
Er fand in den Unterlagen nur ein einziges Heft, das passte: eine Aufführung der Matthäuspassion in der Kölner Philharmonie. Das Konzert hatte vor einigen Jahren stattgefunden. Kein Italiener unter den Solisten. Aber es gab ja auch einen Chor.
Alban spürte, wie ihm der Mut sank. Das hatte alles keinen Zweck. Die Namen der Chormitglieder wurden selten im Programmheft aufgeführt. Und selbst wenn es der Fall war: Er konnte ihnen kaum einzeln nachgehen.
Und wenn es doch nicht die Matthäuspassion war, die Dagmar Dennekamp gemeint hatte? Loblied Matthäi … Wie albern das klang. So gewollt und angestrengt altmodisch.
Der Vollständigkeit halber studierte er noch ein paar Konzertbroschüren, aber auch hier kam er nicht weiter.
Er griff zum Telefon und wählte.
»Beethoven Orchester Bonn«, drang eine Männerstimme aus dem Hörer. Alban meldete sich.
»Ah, Herr Alban. Nett, von Ihnen zu hören. Wie geht es Ihnen?«
»Die Freude ist ganz meinerseits. Mir geht es sehr gut. Und Ihnen? Viel Arbeit mit der Spielzeit?«
»Oh ja, viel Arbeit. Aber es macht Spaß. Und das ist die Hauptsache. Möchten Sie mal wieder ein Konzert besuchen? Wir haben Sie lange nicht gesehen.«
»Darum rufe ich eigentlich nicht an. Das heißt, vielleicht komme ich zur Schostakowitsch-Sinfonie Anfang Dezember.«
»Sehr gerne. Soll ich das gleich vormerken?«
»Oh ja, vielen Dank.«
Alban hörte, wie auf der anderen Seite etwas in den Computer getippt wurde.
»Kein Problem. Was kann ich denn nun für Sie tun?«
»Es klingt vielleicht etwas merkwürdig«, begann er. »Aber hat es in den letzten Jahren einmal eine Aufführung der Matthäuspassion in Bonn gegeben, in der ein Italiener mitgesungen hat?«
»Ein Italiener? Warum interessiert Sie denn so was?«
»Es geht um ein Projekt einer Schallplattenfirma. Sie wollen etwas veröffentlichen, halten aber den Namen eines Solisten geheim. Und ich habe einen Hinweis bekommen, der mich vielleicht auf die richtige Spur bringt.«
»Das klingt spannend, Herr Alban. Darf es denn auch eine Italienerin sein?«
»Es geht das Gerücht, dass es sich um einen Mann handelt.«
»Das ist aber selten, dass Italiener in der Matthäuspassion mitsingen.«
»Ich dachte, umso mehr erinnert man sich daran, wenn es doch einmal der Fall gewesen ist.«
Wieder wurde getippt.
»Hm, ich glaube, das sieht schlecht aus.«
»Wie oft haben Sie denn die Matthäuspassion in Bonn in den letzten Jahren gegeben?«
»Wir machen ungefähr alle zwei Jahre eine Bach-Passion. Abwechselnd Matthäus und Johannes … Moment, ich sehe mir das mal genauer an.«
Wieder Getippe. »Hier habe ich was, glaube ich. Es ist aber kein Solist aus Italien dabei.«
»Jemand aus dem Chor?«
»Das kann man so sagen. Wir hatten einen ganzen italienischen Chor zu
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