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Das Gift der Engel

Das Gift der Engel

Titel: Das Gift der Engel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Buslau
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von Schaumburg. Es kann auch kein Zufall sein, dass Dagmar Dennekamp diese Gegend in dem Gedicht beschreibt und wir dann ein Haus mit dem Schaumburg-Wappen finden. Machen wir mal da weiter, wo wir aufgehört haben. Bei dem Gedicht.«
    Sie nahm das Notizbuch von der Rückbank und blätterte darin. »Hier am Schluss. Da gibt es immer noch ein paar Zeilen, die förmlich nach Enträtselung schreien.«
    Sie suchte die Stelle und las: » Kamst von weit, dem Lande der gelben Früchte, die einst schon ein Dichterfürst besang. Bist gekommen zu singen das Loblied Matthei. Bist verdammt, die Poesie im Verborgnen, im Tal der Tauben, zu leben. So ging zugrunde, was als Balsam geboren ward, zum Gift der Engel  … Das versteht kein Mensch.«
    »Ich habe mir über die Stelle auch schon Gedanken gemacht«, sagte Alban. »Das mit den gelben Früchten – übrigens eine grausig schlechte Formulierung – ist eigentlich klar.«
    »Tatsächlich?«
    »Sie meint Zitronen. Und Goethe.«
    »Das musst du mir ungebildetem Menschen aber erklären.«
    »Goethe nennt man auch den Dichterfürsten. Er hat die berühmte Zeile geschrieben: ›Kennst du das Land, wo die Zitronen blüh’n.‹ Die Zitronen sind die gelben Früchte, und mit dem Land ist Italien gemeint. Dagmar Dennekamp hat als selbst ernannte Dichterin diese Stelle sicher gekannt.«
    »Wenn du das sagst. Also weiter. Er ist gekommen, um das Loblied Matthei zu singen. Was könnte das bedeuten? Gibt es ein Stück, das so heißt? Loblied Matthei?«
    »Das Einzige, was mir einfällt, ist die Matthäuspassion von Bach. Ein bekanntes Werk. Mit Sängern.«
    »Ist das Stück auf einer der CDs von Dagmar Dennekamp gewesen?«
    »Nein.«
    »War irgendwas Italienisches drauf? Ein italienischer Sänger oder eine italienische Sängerin?«
    »Auch nicht.«
    »Dann kommt mir das aber alles ziemlich beliebig vor, was du da assoziierst.«
    »Tut mir leid. Mehr fällt mir nicht ein.«
    »Ich weiß ja nicht, ob ich da was zusammenfantasiere«, sagte Simone. »Aber stell dir mal Folgendes vor: Ein Sänger aus Italien kommt nach Deutschland und singt eine Rolle in dieser Matthäuspassion. Dagmar Dennekamp erlebt das mit und verliebt sich in ihn. Er wohnt dort oben in diesem Haus. Oder sie gehen dort spazieren. Wir müssten nichts anderes tun, als herauszufinden, wann die Matthäuspassion gespielt wurde und ob ein Italiener mitgesungen hat. Schon wissen wir, wen sie vielleicht meint.«
    Alban schüttelte den Kopf.
    »Klingt das denn nicht schlüssig?«, fragte Simone.
    »Erstens: Die Matthäuspassion wird sehr oft aufgeführt, und zwar traditionell vor Ostern, in der Karwoche. Du kannst sie in Köln, in Bonn, in Wuppertal, in Leverkusen und sonst wo hören. Quer durch die ganze Republik und weit darüber hinaus. Außerdem singen mehrere Solisten und ein Chor mit. Wenn Dagmar Dennekamp das Wort ›singen‹ im übertragenen Sinne meint und vielleicht auch noch ›spielen‹ miteinbezieht, kommt noch das Orchester dazu. Je nach Art der Aufführung sind fünfzig bis achtzig Leute beteiligt.«
    »Aber vielleicht war mal ein Solist darunter, der aus Italien kommt. Das muss doch rauszukriegen sein. Obwohl … wenn Dagmar Dennekamp wirklich einen Geliebten hatte, der irgendwo dort oben gewohnt hat, vielleicht sogar in dem Haus, und der aus Italien stammt und dann vielleicht wegging – was ist damit bewiesen? Was hat das mit dem Fall zu tun? Selbst wenn es das Wunderkind wäre: Warum wurde sie ermordet?« Sie schwieg wieder nachdenklich, dann sagte sie: »Klar, ich hab’s! Sie wollte den Wunderknaben von der Karriere abbringen. Guido von Schaumburg sah seine Felle schwimmen. All das Geld, das er mit der Wunderstimme zu verdienen hoffte, wäre flöten gegangen. Und deswegen musste Dagmar Dennekamp sterben. Wie klingt das?«
    »Abenteuerlich«, sagte Alban. »Aber das bringt mich auf eine andere Idee.«
    »Und die wäre?«
    »Warum kann nicht umgekehrt ein Schuh draus werden? Es heißt in dem Gedicht doch, dass sich die Poesie dieses unbekannten Geliebten in Gift verwandelt.«
    »Und?«
    »Mit seiner Poesie ist wohl nach unserer Theorie seine Musik gemeint.«
    »Richtig.«
    »Und diese Poesie verwandelt sich in Gift. Also etwas Tödliches.«
    »Du meinst …?«
    »Genau. Vielleicht ist der Geliebte der Mörder.«
    »Ein italienischer Geliebter, der zum Mörder wird …« Simone wandte den Kopf und sah Alban mit großen Augen an. »Mensch, Nikolaus, ein Italiener! Dottore Bernardi! Ob er mehr mit der Sache

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