Das Gift der Engel
hineingeschrieben.«
Alban nickte. Das war die Faszination, die von einem solchen Faksimile ausging. Alles war genau wiedergegeben: die Bräunung des Papiers, Unregelmäßigkeiten wie kleine Tintenflecken. Und darauf, ebenfalls in manchmal blassem, manchmal kräftigem Sepia, Mozarts Schrift. Akkurate, konzentriert und flüssig geschriebene Noten, die Mozart – ein Wunder an schöpferischer Fruchtbarkeit – wahrscheinlich so schnell auf die Linien gesetzt hatte, als hätte er lediglich einen Brief geschrieben.
Fiona blätterte völlig gefangen in dem Faksimile, während sich Kessler mit seinem Kollegen unterhielt.
Er drehte sich zu Alban herum und wedelte mit dem Blatt, das vorne und hinten dicht beschrieben war. Er benötigte Nachschub.
Alban eilte heran, ging um den Schreibtisch herum, zog die Schublade auf und holte gleich zwei neue Blätter hervor.
»Ja, alles klar. Holt mir Müller her. Ich warte.« Kessler hielt den Hörer zu und bedankte sich bei Alban. »Es dauert nicht mehr lange«, sagte er gedämpft.
Alban machte eine beschwichtigende Handbewegung und schloss die Schublade wieder.
»Alles klar«, sagte Kessler. »Du hast die Personalien? Her damit, ich notiere. Wie heißt er? Wolfgang wie? Ach so … Wolfgang Joch.« Er schob das Blatt in eine günstigere Position. Dabei stieß er an die Mappe mit der Partitur, die seit Albans Rückkehr von Jung noch auf der Schreibtischplatte lag.
Alban blieb stocksteif stehen, während Kessler weitere Informationen niederschrieb.
»Geboren 1945 in Köln … Wohnhaft Bonn, Poppelsdorfer Allee …«
Schließlich beendete er das Gespräch, nahm die Blätter, faltete sie und bemerkte Alban, der neben ihm stand. »Entschuldige die Umstände«, sagte er. »Aber sie haben die Papiere des Toten gefunden … Was ist denn los?«
»Der Tote, der mit der Beethovenbüste erschlagen wurde, heißt Wolfgang Joch?«
Kessler nickte. »Warum? Kennst du ihn?«
Alban blickte auf die Mappe mit der Partitur. Daneben stand Fiona, die noch immer das Faksimile in der Hand hielt.
»Kaum«, sagte Alban.
»Was heißt das?«
Stollmann kam herein. Sein Gesichtsausdruck war fröhlich; das Weinglas war wieder gefüllt. »Ich sehe, der Dienst ist beendet«, verkündete er. »Lassen wir uns also nieder zum zweiten Satz.« Er stellte sein Weinglas auf den Boden und setzte sich. Dabei nickte er Fiona zu, die das Buch ins Regal zurückschob.
»Einen Moment noch«, rief Kessler und sah Alban eindringlich an. »Was ist nun, Nikolaus? Kennst du Joch, oder kennst du ihn nicht?«
Alban wich dem Blick aus. Wenn sie heute noch mit der Probe weiterkommen wollten … »Können wir das nicht wenigstens eine Stunde verschieben?«
»Gerade in den ersten Stunden nach einem Verbrechen ist es extrem wichtig, allen greifbaren Spuren nachzugehen.« Kessler fixierte Alban weiter. »Also?«
Alban seufzte. »Joch ist ab und zu in Bonn ins Konzert gegangen. Er wurde mir bei einer solchen Gelegenheit einmal vorgestellt. Das ist Monate her.«
»Na, das ist doch schon mal was. Weißt du etwas über sein Privatleben? Freunde? Wer hat euch denn damals miteinander bekannt gemacht?«
»Ich weiß es nicht mehr. Jemand vom Orchester, glaube ich. Wahrscheinlich war Joch Abonnent. Man kennt sich da. Aber gestern …« Alban stockte. Wenn er jetzt erzählte, dass Jochs Freund bei ihm war, konnten Fiona und Stollmann sofort nach Hause fahren.
»Sprich weiter. Was war gestern?«
Alban spürte, wie sich in seinem Inneren etwas verhärtete. Kessler war nicht mehr der Quartettkollege, sondern der Profi von der Kripo. Eiseskälte schien von ihm auszugehen.
»Entschuldige, Gerhard, soll das jetzt ein Verhör werden?«
»Bitte sieh es nicht so dramatisch. Sag mir einfach, was du zu sagen hast.«
»Wollen wir denn so unhöflich sein und Herrn Beethoven warten lassen?«, versuchte Stollmann die Situation zu entschärfen. Aber es gelang nicht. Kessler war unerbittlich.
»Erinnere dich«, forderte der Hauptkommissar. »Jede Angabe kann nützlich sein. Schon der Mann vom Orchester wäre ein wichtiger Hinweis. Sag mir, wie er heißt. Und was du über gestern erzählen wolltest. Dann können wir von mir aus weiterspielen. Nachdem ich die Kollegen benachrichtigt habe.«
Alban nahm seinen Platz ein. Kessler machte keine Anstalten, sich dazuzusetzen.
Alban dachte nach. Ob Zimmermann die Nachricht über Jochs Tod bereits erhalten hatte? Kaum – wenn es ihnen gerade erst gelungen war, den Toten zu
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