Das Gift der Engel
Garderobe. »So ist es. Heute Nachmittag haben Bauarbeiter in Poppelsdorf einen Toten gefunden.«
»Mord?«, fragte Stollmann.
»So sieht es aus.« Kessler blieb ernst.
»Wie spannend«, setzte Stollmann nach.
»Sagen wir lieber, es ist mühsam. Obwohl – eine interessante Komponente hat der Fall schon. Das mutmaßliche Mordwerkzeug lag direkt neben dem Toten. Er wurde mit einer Beethovenbüste erschlagen.«
Alle lachten, und Alban war der Ansicht, das sei ein guter Moment, um sein Ensemble zur Disziplin zu mahnen. Er wollte etwas sagen, doch Kessler kam ihm zuvor.
»Sie haben das für einen Scherz gehalten, was? Es ist aber keiner. Der Mann wurde wirklich mit dem Abbild Beethovens ermordet. Das passt doch wunderbar nach Bonn, oder?«
»Und zu unserem Quartettabend«, fand Alban, der wieder auf das Musizieren zurückkommen wollte.
»Weiß man denn schon, wer es war?«, wollte Stollmann wissen, als sie die Treppe hinaufgingen. »War der Tote vielleicht Musiker, der Beethoven schlecht gespielt hat? Und der vielleicht einem heimtückischen Racheakt eines Konzertbesuchers zum Opfer fiel?«
Alban sah Fiona grinsen. Kessler seufzte. »Sie können morgen alles in der Zeitung lesen. Wir haben um sechs sogar noch eine Pressekonferenz gegeben. Deswegen hat es so lange gedauert. Aber um Ihre Frage zu beantworten – weder noch.«
»Was heißt das denn?«, fragte Fiona.
»Wir wissen weder, wer ihn getötet hat, noch, wer er ist. Der Mann hatte keine Papiere dabei.« Kessler holte sein Cello aus dem Kasten und zupfte über die Saiten. »Übrigens, Nikolaus«, sagte er, »es kann sein, dass noch ein Anruf für mich kommt. Ich habe im Präsidium deine Nummer hinterlassen. Das ist doch in Ordnung, oder?«
»Wenn sie dich nicht gleich wieder von hier wegholen. Wir haben eben den Beethoven ohne dich versucht, und es war eine Katastrophe.«
»Es ist doch immer wieder schön zu hören, dass man unentbehrlich ist«, sagte Kessler. »Legen wir los.«
Alle vier stimmten erneut ihre Instrumente und begannen den ersten Satz. Kessler hatte seinen Part offensichtlich geübt und legte die Kantilene seines Themas sehr schön hin. Alban griff den Faden auf, und kaum hatte er die Wiederholung beendet, geriet er in den Zustand, den er am Musizieren so liebte und der für ihn auch nach der jahrelangen Beschäftigung mit Musik ein so großes Geheimnis war. Es schien, als würde das bewusste Denken, das Notenlesen, die Beachtung all der vielen kleinen gedruckten Zeichen, zurücktreten und Platz schaffen für etwas anderes, das nach und nach zum Leben erwachte.
Als sie beim Schlussakkord des ersten Satzes ankamen, bemerkte Alban, dass sein Ärger über Kesslers Verspätung verflogen war. Er wollte gerade dazu ansetzen, etwas über das gelungene Musizieren zu sagen, da klingelte das Telefon.
»Und wieder eine Pause«, stellte Stollmann fest und beäugte sein leeres Glas. »Wo ist die Weinflasche?«
Alban ging an den Apparat. Eine männliche Stimme verlangte kurz angebunden Hauptkommissar Kessler.
»Für dich«, sagte Alban und hielt dem Kommissar den Hörer hin. Kessler lehnte sein Instrument an den Stuhl und nahm das Telefonat entgegen. Stollmann war schon hinausgegangen und strebte wahrscheinlich wieder dem Esszimmer oder der Küche zu. Fiona hatte ihre Bratsche ebenfalls auf ihrem Stuhl abgelegt und schlenderte vor Albans riesigen Regalen auf und ab. Neugierig ließ sie den Blick über die langen Reihen von Büchern, CDs, Tonbändern und Schallplatten streifen. Manchmal hielt sie den Kopf schief und studierte einen Titel.
»Einen Moment bitte«, sagte Kessler ins Telefon und wandte sich an Alban, der sitzen geblieben war und eine Passage in seinen Noten näher in Augenschein nahm. »Hast du bitte mal was zu schreiben?«
Alban stand auf und reichte Kessler eines der Blätter, auf denen er immer seine Bemerkungen für die Rezensionen aufschrieb, und einen Bleistift. Er schaltete die Lampe ein, und Kesslers Notizen gerieten in den Lichtkegel. Der Hauptkommissar schrieb zügig; der Bleistift kratzte.
Fiona hatte zwischen Albans Büchern das Faksimile von Mozarts Originalhandschrift der »Jupiter-Sinfonie« entdeckt.
»Darf ich mir das mal ansehen?«, fragte sie.
»Selbstverständlich.« Er zog das querformatige große Buch heraus und schlug es auf. Die Nachbildung der jahrhundertealten Partitur wurde sichtbar.
»Das sieht verblüffend echt aus«, stellte Fiona fest. »Als hätte Mozart wirklich genau hier
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