Das Gift der Engel
»Komm schon«, sagte er. »Ihr habt ihn doch nicht nur festgenommen, weil er mit Herrn Joch befreundet war und weil er in derselben Straße wohnt, in der die Leiche gefunden wurde.«
Die Ampel wurde grün, und der Wagen erklomm die Reuterbrücke.
»Nein, haben wir nicht. Zimmermann, der dir bei seinem Besuch leid getan hat, ist ein vorbestrafter Ex-Stricher, der schon mal wegen Körperverletzung im Gefängnis saß.« Kessler machte eine Pause, um seine Worte wirken zu lassen. »Außerdem sind auf der Beethovenbüste seine Fingerabdrücke. Das ist aber immer noch nicht alles. Gerade, als du da warst, habe ich eine weitere interessante Nachricht auf den Tisch bekommen.«
»Nämlich?«
»In der Nacht, in der Joch getötet wurde, hat es einen Anruf von Jochs Handy zu Zimmermanns Festnetzanschluss gegeben. Das Gespräch wurde von der Gegenseite entgegengenommen. Sie hatten also Kontakt.«
Alban dachte an sein Gespräch mit Zimmermann zurück. Von einem letzten Telefonat war nicht die Rede gewesen. Aber Alban hatte den jungen Mann auch nicht so genau gefragt. Und dass er ein Stricher gewesen war … ein gewalttätiger Stricher …
»Und das reicht für eine Verhaftung aus?«, fragte er.
»Es geht schließlich um ein Kapitalverbrechen. Übrigens kannst du getrost davon ausgehen, dass es bald noch weitere Indizien geben wird.«
»Was meinst du damit?«
»Die Lotharstraße ist kein Niemandsland und auch keine Wildnis. Jemand könnte beobachtet haben, wie Zimmermann Jochs Leiche auf der Baustelle versteckte.«
»Oder die Beethovenbüste.«
»Oder die.«
Sie quetschten sich weiter durch die schmale Straße, erreichten die Auffahrt zum »Endenicher Ei« und standen im Stau. Alban stoppte. »Warum hat es eigentlich so lange gedauert, bis man Jochs Leiche gefunden hat?«, fragte Alban.
»Die Arbeiter waren ein paar Tage nicht da. Es hat einen kurzen Baustopp gegeben. Der Platz war verwaist. Es lagen ein paar Plastikplanen herum, und darunter war der Tote versteckt.«
»Aber warum?«
»Damit wir dem Täter nicht so schnell auf die Schliche kommen, natürlich. Im ersten Affekt machen Mörder so was. Sie verstecken die Leiche.«
»Ich meine, warum hat es Zimmermann deiner Meinung nach überhaupt getan?«
»Das wird er uns spätestens heute Nachmittag im nächsten Verhör erzählen. Das heißt, dem zuständigen Kollegen. Ich habe ja frei.«
»Aber du musst doch einen Verdacht haben.«
»Ich schätze mal, aus Habgier. Joch war anscheinend ziemlich vermögend. Er dürfte Zimmermann ausgehalten haben.«
»Man bringt doch nicht die Kuh um, die man melken will.«
»So denkst du dir das«, sagte Kessler, und seine Stimme wurde schwer von Müdigkeit. »Aber so ein Typ wie Zimmermann will immer mehr und mehr. Vielleicht hatte Joch vor, sich von ihm zu trennen, und es wäre aus gewesen mit dem Geldsegen. Das wird er uns schon noch sagen. Im Moment leugnet er alles noch.«
Alban konnte auf die Autobahn abbiegen. Er blieb auf dem rechten Fahrstreifen, denn er wollte in Hardtberg wieder abfahren.
»Und wenn er doch unschuldig ist?«, fragte Alban. »Nur mal angenommen, es war alles ein Zufall …«
»Kaum. Wir sind in Jochs Wohnung gewesen. Ich habe selten eine Wohnung gesehen, die so unbewohnt wirkte. Als hätte Joch sich dort praktisch nie aufgehalten.«
»Ja und? Was besagt das denn?«
»Wir glauben, dass Zimmermann Sachen aus Jochs Wohnung geholt hat, um sie zu verscherbeln. Er wird finanzielle Probleme haben. Auch das kriegen wir heraus. Und es wird jemanden geben, dem er die Sachen verhökert hat.«
»Was für Sachen können das denn gewesen sein?«
»Unterhaltungselektronik. Einrichtungsgegenstände. Antiquitäten. Was sich in einer Nobelwohnung in der Poppelsdorfer Allee eben so findet.«
»Eine Beethovenbüste …«
»Auch die. Obwohl es sich dabei nicht gerade um etwas Wertvolles gehandelt hat. Das Ding war eins von denen, die man im Andenkenladen kriegt. Zimmermann hatte sogar eine Erklärung dafür, wie seine Fingerabdrücke draufgekommen sind.«
»Und welche?«
»Er hat behauptet, er hätte Joch den Kopf zum Geburtstag geschenkt.«
»Das ist doch eine schlüssige Erklärung.«
»Oder eine Schutzbehauptung.«
Alban dachte nach. »Hatte Joch eigentlich Verwandte?«
»Einen Bruder, der in Koblenz lebt.«
Die Abfahrt Hardtberg war ausgeschildert. Kessler war tiefer in den Sitz gesunken und hatte die Augen geschlossen. Als sie in die Leuschnerstraße einbogen, war Alban sicher, dass der
Weitere Kostenlose Bücher