Das Gift der Engel
Verträge – aber eben alles mehrere tausend Jahre alt und hinter einer faszinierenden Fassade verborgen. Und deshalb umso interessanter.
Ob diese Arie ein Geheimnis barg? Womöglich ein ganz profanes Geheimnis? Eine so läppische verborgene Wahrheit, dass Alban sich lächerlich machen konnte, wenn er sie aufzudecken versuchte?
»Na, wieder eingeschlafen?«, fragte Simone.
Er erwachte aus seinen Gedanken und fand sich am Frühstückstisch sitzend wieder.
»Ich hab nur ein bisschen nachgedacht.«
Sie stand auf. »In der Offenbachstraße gibt es noch viel zu tun.«
»Viel Spaß.«
»Und dir viel Erfolg.«
Er sah ihr nach, wie sie ihren Parka anzog und das Haus verließ. Als sie weg war, ging er nach oben, holte die Partitur und sicherheitshalber den Atlas. Dann stieg er in den Wagen und fuhr los.
Hinter Andernach zog sich die vierspurige B9 wie eine kleine Autobahn schnurgerade an Möbel- und Autohäusern, Einkaufszentren und undefinierbaren, mit Riesenlogos verzierten Betonkästen vorbei.
Auf der Karte des Navigationssystems rückte der Koblenzer Stadtteil Bubenheim heran. Eingekeilt zwischen der Autobahnauffahrt Koblenz-Nord und der Bundesstraße wirkte die Besiedlung wie eine in einem Spinnennetz gefangene Fliege.
Alban verließ die Bundesstraße, kam an einem Stück übrig gebliebenen Ackerlandes vorbei, bog an einer Kreuzung ab und passierte einige Abzweigungen von Stichstraßen.
»Sie haben Ihr Ziel erreicht«, meldete die Frauenstimme im Navigationssystem. Die Häuschen standen Wand an Wand, und sie bildeten einen deutlichen Kontrast zu Jochs Eigentumswohnung in der Poppelsdorfer Allee. Der Bruder hatte es wohl nicht zu einem Chefarztposten gebracht.
»Hier wohnt die Familie Joch« war auf einem Tonschild an der Haustür zu lesen, und darunter waren in verschiedenen Farben die Namen der Familienmitglieder aufgeführt: oben ganz groß »Sebastian« und »Anna«, darunter etwas kleiner und in Schreibschrift »Julian«, »Isabell« und – noch etwas kleiner – »Moppel«.
Alban nahm die Mappe mit der Partitur in die linke Hand und wollte gerade mit der rechten auf den Klingelknopf drücken, da bemerkte er, dass die Tür nur angelehnt war. Durch das getönte Glas erkannte er eine Frau, die zielstrebig auf ihn zukam, aufblickte und zusammenzuckte.
»Du meine Güte, haben Sie mich jetzt erschreckt«, sagte sie und legte sich eine von einem grünen Gummihandschuh umhüllte Hand auf die Brust. Alban entschuldigte sich, und die Frau lächelte wie über eine eigene Dummheit. »Ist ja nichts passiert«, sagte sie und ging die paar Schritte zu dem winzigen Vorgarten, in dem ein kleiner Lorbeerbaum wuchs. »Kann ich etwas für Sie tun?« Sie holte eine Gartenschere aus der Brusttasche ihres Overalls.
»Frau Joch?«
»Ganz recht.«
Sie musterte ihn. Etwas Abweisendes lag in ihrem Blick. Alban konnte sich denken, warum. Vielleicht hielt sie ihn für einen Vertreter. Die traten ebenfalls in dunklem Anzug, weißem Hemd und Schlips auf.
»Mein Name ist Nikolaus Alban. Ich bin ein Bekannter Ihres verstorbenen Schwagers. Mein Beileid … Wäre es vielleicht möglich, mit Ihrem Mann zu sprechen?«
Frau Joch, die vor einem Busch in die Knie gegangen war, richtete sich wieder auf. »Um den Wolfgang geht es? Mein Mann ist leider nicht da.«
»Arbeitet er? Vielleicht kann ich ihn an seiner Arbeitsstelle besuchen?«
»Nein, nein, er hat heute frei. Er holt gerade ein paar Sachen aus dem Baumarkt. Die Kinder sind auch mitgefahren.«
»Keine Schule?«
Die Frau schüttelte den Kopf. »Die sind noch klein.«
Eine schwarz-weiße Katze schritt träge aus dem Haus.
»Das ist sicher Moppel.« Alban bückte sich, um der Katze über den Kopf zu streichen. Sie ließ es sich gefallen und drückte sich an seine Hand.
Die Frau nickte. »Die findet Sie aber sympathisch.«
»Ich habe auch so ein Modell«, sagte Alban. »Allerdings in Schwarz. Er heißt Zerberus.«
Er streichelte die Katze noch ein bisschen, doch dann hatte sie genug davon, ging zurück auf die Stufe vor der Haustür und begann sich ausgiebig zu putzen.
»Sebastian müsste zwar gleich zurückkommen, aber vielleicht kann ich Ihnen ja auch weiterhelfen«, sagte Frau Joch.
Alban griff in die Mappe und holte die Partitur heraus. »Dieses Schriftstück gehörte Ihrem Schwager. Es sind Noten. Mich würde interessieren, woher er sie hatte.«
Frau Joch blickte auf das Manuskript, und ihr Blick war von Verständnislosigkeit geprägt. »Also, das sagt mir
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