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Das Gift der Engel

Das Gift der Engel

Titel: Das Gift der Engel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Buslau
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Arbeitsplatz-Symbol.
    »Hier wird die Startdatei angezeigt. Sie heißt ›Requiem.exe‹. Wenn du da draufklickst, geht es los.«
    Wenige Sekunden später klingelte es an der Haustür. Simone richtete sich auf. »Peter ist da. Mach’s gut.«
    »Viel Spaß«, rief Alban ihr nach. Er hörte, wie sie die Treppe hinunterlief und die Tür ins Schloss fiel.
    Alban entschied, sich um die CDs erst mal nicht mehr zu kümmern, sondern sich an die Lektüre der Tagebücher zu machen. Frau Vonderheidt konnte warten.
    Er nahm den Jutebeutel und legte alles säuberlich vor sich auf den Schreibtisch. Die CDs. Die Tagebücher. Er schlug eine der Kladden auf. Dann zögerte er.
    Plötzlich kam ihm Lea in den Sinn. Dagmar Dennekamp hatte ihre Musik geliebt, und vielleicht hatte sie auch über sie geschrieben? Was wäre, wenn er etwas über Lea in diesen Tagebüchern finden würde? Sein Herzschlag beschleunigte sich.
    Alban zwang sich, ruhig zu bleiben, und konzentrierte sich darauf, die gleichmäßige Schrift zu entziffern. Er war kein Grafologe, aber die Buchstaben zeugten davon, dass die Dichterin ihre Worte mit Bedacht aufs Papier gesetzt hatte. Das Schriftbild veränderte sich kaum, und es gab nur sehr wenige Korrekturen. Sie hatte sogar immer denselben Stift benutzt. Einen blauen Tintenroller oder Füller.
    Alban las und las.
    Die Seiten waren mit Gedichten und Prosaskizzen gefüllt. Immer ging es um murmelnde Bäche, rauschende Wälder, um mondbeglänzte Nächte. Um das Raunen in den Blättern. Um die Unendlichkeit. Um Felswände, Wasserfluten, goldenen Sommer, blauen Himmel, weite Ferne. Um das Flusstal. Alles ächzte nur so unter der Last von Klischees.
    Ab und zu gab es längere Passagen, und manchmal erkannte Alban, dass es Zitate anderer Dichter waren.
    »Der Wald wurde indes immer dunkler und dichter, der Pfad enger und wilder. Er kam endlich an einen dunkelgrünen, kühlen Platz, der rings von Felsen und hohen Bäumen umgeben war. Der einsame Ort gefiel ihm so wohl, dass er vom Pferde stieg, um hier etwas auszuruhen. Er streichelte ihm den gebogenen Hals, zäumte es ab und ließ es frei weiden. Er selbst legte sich auf den Rücken und sah dem Wolkenzuge zu. Die Sonne neigte sich schon und funkelte schräge durch die dunklen Wipfel, die sich leise rauschend hin und her bewegten. Unzählige Waldvögel zwitscherten in lustiger Verwirrung durcheinander. Er war so müde, er konnte sich nicht halten, die Augen sanken ihm zu. Mitten im Schlummer kam es ihm manchmal vor, als hörte er Hörner aus der Ferne. Er hörte den Klang oft ganz deutlich und näher, aber er konnte sich nicht besinnen und schlummerte immer wieder von Neuem ein.«
    Auch das war von Joseph von Eichendorff. Alban stand auf, zog einen edel gebundenen alten Band aus dem Regal und blätterte darin. Die Dichterin hatte wieder aus »Ahnung und Gegenwart« zitiert. Ohne die geringste Veränderung.
    Er las weiter. Nach dem Eichendorff-Abschnitt folgte ein Text, der wie etwas Eigenes wirkte. Eine kurze Eintragung, die mit dem Wort »Fantasie« begann.
    »Fantasie: Aufschäumende Klänge, ein Wallen des Waldes, ein Jubeln der Natur, ein Raunen, ein Weben, ein Schallen …«
    Die Eichendorff-Vorlagen hatten ihr wahrscheinlich geholfen, diesen Ton zu treffen. Aber es hatte ihr letztlich wenig genützt. Es war ihr nicht gelungen, eine wirklich gute Dichterin zu werden.
    Er blätterte weiter und stutzte. Da stand etwas Italienisches ganz oben auf der Seite. »Lascia ch’io pianga« . Dann folgte wie in dem »Fantasie«-Abschnitt ein Doppelpunkt.
    »Lass mich beweinen mein grausames Schicksal.«
    Der Arientext. Italienisch und deutsch.
    Hatte Dagmar Dennekamp vielleicht eine Einspielung der bekannten Version von Händel besessen? Er suchte in dem Jutebeutel. Da war keine. Martin Dennekamp hatte Alban nur romantische Musik mitgegeben: neben Leas CD Nocturnes von Chopin, dann eine Aufnahme von Mahlers fünfter und Bruckners vierter Sinfonie und zwei Aufnahmen mit romantischen Liedern. Alban überprüfte, ob auch wirklich die richtigen CDs in den Verpackungen waren; es stimmte alles.
    Er las weiter und gelangte an eine Passage, die Dagmar Dennekamp, offenbar inspiriert von der Arie, gedichtet hatte: »Säulen von Tönen, tragen mich himmelwärts, Akkorde kündigen dich an, wie süß ist die Freude im weichen Arm der Violinen, bevor sich dein Glanz entfaltet …«
    Alban rümpfte die Nase.
    »Einer Girlande gleich, einer Kaskade, kommst du hinauf in die Höhen, erklimmst nie

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