Das Gift der Engel
Engelstrompete ist Rauschgift«, widersprach Simone. »Und somit ist die Trompete der Engel auch ein Gift der Engel. So abwegig finde ich das gar nicht.«
»Das gäbe der Sache eine ganz neue Wendung«, stellte Alban fest. »Aber ich weiß nicht … Etwas weit hergeholt ist es schon.«
»Wie gesagt«, sagte Simone und schloss Dagmars Tagebuch. »Finde mehr über die Dame raus.« Sie deutete auf die anderen Notizbücher. »Lies, was sie geschrieben hat.«
»Ich habe den Eindruck, dass dir das Detektivspielen auch liegt«, sagte Alban. »Wollen wir nicht übers Wochenende los und das Rätsel gemeinsam lösen?«
»Aber erst ab morgen. Nachher geht’s nach Köln. Ich bin ja mit Peter verabredet.«
Zerberus schlüpfte zwischen Albans Beinen hindurch, lief durch den Raum und sprang auf die Fensterbank, als hätte er die ganze Zeit auf die Rückkehr des Hausherrn gewartet.
Der Anrufbeantworter blinkte. Alban drückte den Knopf, und eine näselnde Stimme meldete sich. Es war Frau Vonderheidt, Chefredakteurin der Zeitschrift Allegro, die um neue Rezensionen bat. Albans schlechtes Gewissen regte sich.
Gegenüber dem Schreibtisch, ganz an das Regal mit den Partituren gedrängt, häuften sich die Pakete und Päckchen mit neu zugegangenen CDs. Der Anblick erfüllte Alban mit Widerwillen. Alles in ihm drängte danach, Dagmar Dennekamps Texte zu lesen. Aber er musste zumindest prüfen, was in den Päckchen war.
Bevor er sich mit den CDs beschäftigte, versuchte er noch einmal, Martin Dennekamp anzurufen. Vergeblich.
Er sah durch, was gekommen war. Eine Neuaufnahme von Mozarts Requiem mit Nikolaus Harnoncourt am Pult zog sein Interesse auf sich. Er würde Frau Vonderheidt am Montag per Mail mitteilen, dass sie eine Rezension erwarten konnte. Das würde sie erst einmal zufriedenstellen.
Er studierte das Cover. Alban gehörte der Generation an, die mit Vinylschallplatten groß geworden war. Er besaß noch eine Menge davon, und er hörte sie auch hin und wieder. Natürlich hatte er sich mittlerweile an die Existenz von CDs gewöhnt, was ihn jedoch irritierte, waren die vielen neuen technischen Errungenschaften, die die Industrie diesem Medium angedeihen ließ. Die Mozart-Veröffentlichung war eine sogenannte SACD; und auf der Rückseite war auch noch die Rede davon, dass man sich Bildmaterial ansehen konnte, wenn man die Silberscheibe in den PC steckte. So etwas verursachte Alban Magenschmerzen.
Er hatte nichts dagegen, sich Bilder im Computer anzusehen, aber in erster Linie sah er seine Aufgabe darin, die Musik zu hören und zu beurteilen. Andererseits erwarteten seine Leser sicher, dass er sich als Kritiker auch zu den zusätzlichen Komponenten äußerte. Und seiner Erfahrung nach funktionierten solche Dinge nie so einfach, wie in der Werbung oder auf der Softwareverpackung behauptet wurde. Er erinnerte sich an einige Situationen, in denen selbst Simone bei dem Versuch gescheitert war, ein Programm auf dem Computer zu installieren.
Er dachte gerade darüber nach, ob er einfach auf die Besprechung des Requiems verzichten und stattdessen eine andere, normale CD aussuchen sollte, als seine Mitbewohnerin an die Tür klopfte.
»Nur dass du Bescheid weißt. Peter holt mich gleich ab … Was ist denn? Du machst ja ein richtig verzweifeltes Gesicht.«
»Kannst du mir mal erklären, was das hier zu bedeuten hat?«, fragte er und hielt Simone die CD-Packung hin.
»Meinst du das hier auf der Rückseite? Da steht: ›The original manuscript is to be found as a CD - ROM track in this CD.‹ Du kannst dir die Handschrift des Stückes auf dem PC ansehen. Klingt interessant.«
»Vielen Dank, aber Englisch kann ich auch. Wie geht das? Ein alter Mann wie ich denkt immer noch, es gäbe CDs zum Hören und CDs mit Software. Und jetzt geht das beides durcheinander?«
Simone seufzte. »Ich hab’s zwar eilig, aber gut.« Sie ging zu Albans PC und schaltete ihn ein. »Es sollte auch dir nicht entgangen sein, dass man auf einer CD alles Mögliche speichern kann, auch mehrere Sachen gleichzeitig. Das nennt man dann ›Multimedia‹.«
»Und was muss ich tun, um die Handschrift ansehen zu können?«
»Wahrscheinlich musst du die CD einfach nur ins Laufwerk schieben. Der Computer startet dann die Programme, die er braucht, ganz von selbst.«
Der Rechner war hochgefahren. Simone drückte den Knopf des CD-Laufwerks und legte die Silberscheibe ein. Als der Computer den Datenträger geschluckt hatte, klickte Simone auf das
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