Das Gift der Engel
Andachtsbild, um einen Prediger, um ein Marienbild.«
»War Dagmar Dennekamp religiös?«
»Ich habe ihren Mann nicht danach gefragt.«
»Am Ende jedenfalls erreicht sie ein Ziel«, interpretierte Simone weiter. »Aber hier, diese Zeilen am Ende kapiere ich überhaupt nicht.«
»Bist gekommen zu singen das Loblied Matthei«, las Alban. »Bist jetzt verdammt, die Poesie im Verborgnen, im Tal der Tauben, zu leben. So ging zugrunde, was als Balsam geboren ward …«
»Und das hier?« Simone deutete auf die allerletzten Zeilen: » … und wurde zum Gift. Zum Gift der Engel … Da geht es ganz sicher um das eine.«
»Das eine?«
»Um die Liebe. Das ist ja nun mal ganz klar. Vielleicht hatte sie einen Freund? Einen Freund, der auch Dichter war? Und der auf der anderen Rheinseite lebt? Und mit seinen Gedichten auf taube Ohren stieß? Vielleicht …«, sie dachte nach und blinzelte Alban zu, »vielleicht hatte sie ja was mit Thomas Gottschalk.«
Alban schüttelte den Kopf. »Jetzt mal ernsthaft. Ich muss es gleich noch mal bei Herrn Dennekamp versuchen. Ich bin da viel zu schnell weggefahren. Aber ich war einfach völlig überrascht, als plötzlich Leas CD auftauchte – und dann …« Er machte eine Pause. »Wir sind mit der Geschichte noch gar nicht fertig. Jetzt wirst du ein echtes Wunder erleben.«
In der Küche gab es einen Radiorekorder mit CD-Player, mit dem Simone manchmal Eins Live hörte, wenn Alban nicht in Hörweite war.
»Du willst doch wohl nicht die Bummbox benutzen?«, sagte Simone, denn Alban hatte sich schon oft über die mangelhafte Qualität des Gerätes ausgelassen.
Er nahm die CD aus dem Beutel und legte sie ein. »Es kommt jetzt nicht auf die Qualität an.«
Er drückte einen Knopf, und die Streichermusik begann.
»Erkennst du es?«
Ein paar Sekunden vergingen. Simone nickte. »Das ist das, was ihr neulich oben gespielt habt. Die Arie.«
»Sehr gut«, sagte Alban. »Dafür, dass du es nur einmal zu hören bekommen hast – reife Leistung. Und? Was fällt dir noch auf?«
Simone wartete eine Weile. Dann kam die Stelle, wo die Solostimme einsetzen sollte. »Der Gesang fehlt.«
»Ganz genau.« Er erklärte Simone, dass die CD wie die Tagebücher Dagmar Dennekamp gehört hatte.
»Das ist ein Teil-Playback«, sagte Simone. »Vielleicht sollte die Solostimme noch aufgenommen werden.«
Alban schüttelte den Kopf. »So was gibt es in der klassischen Musik nicht. In der Klassik werden Musikstücke, bei denen ein Solist von einem Orchester begleitet wird, eins zu eins aufgenommen. Alle zusammen.«
»Solist und Orchester sind gemeinsam im Studio?«
»Ja. Aber es gibt kein Studio. Meistens nimmt man in einem Konzertsaal oder in einer Kirche auf.«
»Auf jeden Fall kannst du jetzt dem Herrn Hauptkommissar eine große Freude machen. Du hast den Beweis, dass die beiden Fälle zusammenhängen. Wenn diese CD wirklich Dagmar Dennekamp gehörte, hat sie auch die Arie gekannt, die du zu enträtseln versuchst.«
»Das habe ich auch zuerst gedacht. Aber Gerhard wird das nicht überzeugen. Er wird sagen, es sei Zufall. Partitur und CD könnten einfach beim selben Antiquar gelandet sein.«
»Du musst Dagmar Dennekamps Umfeld erforschen, wie du das von Dr. Joch erforscht hast. An deiner Stelle würde ich dem Tagebuch übrigens nicht zu wenig Bedeutung beimessen. Dieses Gedicht da am Schluss hat was zu bedeuten, da bin ich sicher.«
Wieder schlug Simone die Stelle auf. »Das Gift der Engel … Es klingt so, als sollte das Gedicht auf diese Formulierung hinauslaufen. Als habe sie absichtlich damit einen Schlüssel hinterlassen wollen.«
»Eine Metapher«, sagte Alban. »Eine Übertragung, wie wenn man das Leben als Fluss bezeichnet … Aber das stimmt auch nicht. Metaphern sind eigentlich etwas, dessen Bedeutung man kennt. Das Gift der Engel ist aber etwas, das ich mir nicht erklären kann.«
»Vielleicht ist es ja gar keine Metapher. Vielleicht ist es wörtlich gemeint. Es könnte irgendein Material sein.«
»Vielleicht eine Pflanze?«, überlegte Alban. »Damit kennst du dich doch aus! Fällt dir nichts dazu ein?«
Simone dachte nach. »Ein Gift der Engel oder ein Engelsgift kenne ich nicht. Es gibt nur eine Engelstrompete. Die Engelstrompete ist giftig, und ich glaube, man hat sie auch als Rauschgift benutzt.«
»Drogen?«, fragte Alban. »Deswegen sind natürlich schon oft Leute umgebracht worden. Aber da hier nun mal von Gift und nicht von einer Trompete die Rede ist …«
»Die
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