Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Gift der Schmetterlinge (German Edition)

Das Gift der Schmetterlinge (German Edition)

Titel: Das Gift der Schmetterlinge (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: F.E. Higgins
Vom Netzwerk:
vorbeigegangen, die vor Theatern und Restaurants warteten – einst waren hier jeden Abend Fitzbaudly-Weine serviert worden –, und schließlich hatte er wieder die Brücke überquert.
    Nun, wo sein Vater tot und begraben war, waren nur noch Fassungslosigkeit und dumpfe Trauer in ihm.
    Ohne nach rechts und links zu schauen, trottete er weiter durch die Regenschwaden. Er hörte nicht die fordernden Rufe der Unglücksgestalten ringsum. Er spürte nicht die grapschenden Finger, die an seinem Mantel zerrten. Er achtete nicht einmal darauf, als ihm eine heruntergekommene Gestalt mit wild aufgerissenen Augen und in die Hüften gestemmten Armen entgegentrat. Als der Bettler den verzweifelten Blick in Hectors Augen sah, ließ er die Arme sinken und wandte sich ab. Schließlich sank Hector auf die Stufen eines der baufälligen, rußgeschwärzten Häuser und legte seinen Kopf in die Hände. Er war vollkommen erschöpft und so in Gedanken, dass er nicht hörte, wie hinter ihm die Tür geöffnet wurde. Er spürte nur die knochigen Arme, die ihn fest umschlangen und buchstäblich ins Haus schleiften. Krachend schlug hinter ihm die Tür ins Schloss und Dunkelheit umhüllte ihn.
    »Ah, hat uns der gute Herrgott wieder einen geschickt?« Die brüchige Stimme kam von irgendwo dicht neben seinem Kopf. »Keine Angst, Kindchen, wir kümmern uns hier um dich. Haben sie dich einfach in der Kälte stehen lassen?«
    Hector gelang es, sich aus dem ungewöhnlich festen Griff der Frau zu befreien (er glaubte jedenfalls, dass es sich um eine Frau handeln müsse – der Stimme nach zu urteilen war er sich allerdings nicht so sicher). Dann drehte er den Kopf, um seine Entführerin anzuschauen. Später, als er sie bei Tageslicht sah, begriff er, dass das Halbdunkel im Haus tatsächlich das freundlichste Licht war, um sie näher in Augenschein zu nehmen. Für den Moment jedoch konnte er gerade so eben eine kleine, verhutzelte Gestalt weiblichen Geschlechts erkennen.
    »Ich bin Mrs Fitch«, sagte sie. »Ich weiß Bescheid, wie’s is, wenn man auf den runtergekommenen Straßen von Urbs Umida sitzt. Ich kenn dein Leid. Aber Er, unser Herrgott«, an dieser Stelle bekreuzigte sie sich, »Er hat mich durch ein’ tragischen Unfall vor mir selber gerettet. Hätte beinah ’n schreckliches Verbrechen begangen, aber Er hat mir den rechten Weg gezeigt und mir erlaubt, dass ich’s wiedergutmache. Denk aber bloß nich, dass das so leicht is, ich werd die ganze Zeit auf die Probe gestellt. Und da oben«, sie rollte die Augen in Richtung Zimmerdecke, »da oben sitzt die größte Prüfung von allen. Der arme Ned da oben is nämlich vor der ein’ Tragödie bewahrt worden und gleich drauf in die nächste geschlittert. Der steckt in ei’m nutzlosen Körper.«
    »Wo bin ich hier?«, fragte Hector, als Mrs Fitch ihren Redestrom unterbrach, um rasselnd Luft zu holen.
    »Na, überhaupt am besten Ort, wo du nur sein kannst: Lottie Fitchs Waisenhaus für ausgesetzte Babys und verlassene Jungs.«
    »Aber ich bin nicht verlassen worden«, protestierte Hector. »Mein Vater ist … gestorben.«
    »Ah, was für’n Unglück für ein’ so jungen Kerl«, sagte Lottie und drückte ihn noch einmal an sich. »Aber nu mach dir keine Sorgen, wir kümmern uns um dich. Komm mit.«
    Hector ließ sich von Mrs Fitch durch den Flur führen. Er folgte ihr die Treppe hinunter in eine geräumige Küche, in der ein langer Tisch und Bänke standen. Dabei sprach sie die ganze Zeit weiter über den Herrgott und ihre guten Taten und erwähnte zwischendurch immer wieder den ›armen Ned da oben‹.
    Am Tischende schnitt ein Mädchen Gemüse. Als sie die Schritte hörte, sah sie auf und lächelte.
    »Ah, Polly«, sagte Mrs Fitch. »Wir haben ein’ Neuen. Hector. Er braucht was zu essen und vielleicht kannst du ’n Bett für ihn auftreiben. Aber zuerst wollen wir ganz schnell ’n Dankgebet sagen, weil er zu uns gefunden hat und nich auf den gefährlichen Straßen der Stadt umgekommen is.«
    Prompt unterbrach Polly das Gemüseschneiden, faltete die Hände und schloss die Augen wie Mrs Fitch und schon schickten beide ein gemurmeltes Stoßgebet zum Allmächtigen empor. Hector, der zwar nicht streng religiös erzogen war, wusste immerhin so viel, dass auch er die Hände ineinanderlegte und mitmurmelte. Mrs Fitch schien hocherfreut. Sie ging aus der Küche und ließ ihn in Pollys Obhut zurück.
    In all den Jahren, die Polly schon im Waisenhaus arbeitete, waren viele verlassene Jungen gekommen

Weitere Kostenlose Bücher