Das Gift der Schmetterlinge (German Edition)
wie ich es verlangt hatte. Inzwischen hat mir Gerulphus alles Nötige aus der Stadt besorgt. Einen Tag brachte ich damit zu, die Behälter für meine Kokons vorzubereiten. Ich werde sie vorerst in einem Zustand der Erstarrung halten, und zum gewünschten Zeitpunkt erwärme ich sie, damit sie sich in ihre endgültige Erscheinungsform verwandeln können. Das ist natürlich kein exaktes Verfahren, aber immerhin werde ich auf diese Weise Lady Mandibles Wunsch erfüllen können. Noch kenne ich ihre endgültige Absicht nicht, doch finde ich sie in mancherlei Hinsicht fragwürdig. Die Schmetterlinge werden nicht lange überleben – in freier Wildbahn nur wenige Tage nach dem Schlüpfen. Außerdem kreisen meine Gedanken, wie Du weißt, um ganz andere Dinge.
Und, liebe Polly, genau deshalb konnte ich gestern Nacht nicht schlafen. Während ich grübelnd vor meinen Schmetterlingsgefäßen saß, hörte ich vor dem Zimmer ein Geräusch, und als ich nachschaute, sah ich die gewisse Person, über die ich gerade nachgedacht hatte, am Ende des Flurs um die Ecke schleichen. Der sogenannte Baron! Meine Neugier war geweckt und ich heftete mich an seine Fersen. Doch als ich die nächste Ecke erreicht hatte, war er schon verschwunden, und ich musste die Verfolgung aufgeben.
Zurück im Incunabulorum, überlegte ich fieberhaft, was ich da eben beobachtet hatte. Zu Bovriks Charakter würde es nur zu gut passen, wenn er einen neuen Trick auf Lager hätte, aber was mochte dahinterstecken? Ich beschloss, ihn in Zukunft besser im Auge zu behalten – nicht, dass seine Machenschaften noch die Verfolgung meiner eigenen Pläne durchkreuzen würden. Ich habe bewiesen, dass ich fast jedes Rätsel, das man mir stellt, lösen kann, und das werde ich auch jetzt wieder beweisen. Jedenfalls werde ich mich nicht noch einmal von ihm übertölpeln lassen.
Tagsüber ist es einfacher, Bovrik im Auge zu behalten. Er kommt fast täglich herauf, um sich über meine Fortschritte auf dem Laufenden zu halten. Jeder Augenblick in seiner Gegenwart ist mir eine Qual, gerade jetzt, wo er sich so mächtig und hochnäsig gibt, sich wer weiß wie aufspielt und mich bei jeder Gelegenheit mit seinem neuesten Glasauge anfunkelt. Aber ich beiße die Zähne zusammen, beantworte seine Fragen und warte darauf, dass er wieder geht. Wenigstens nimmt mein Plan allmählich deutlichere Formen an. Das Mittwinterfest wird in Erinnerung bleiben – und zwar nicht nur wegen Lady Mandibles Schmetterlingen. Früher als an diesem Abend wird sich wohl nichts machen lassen. Mehr kann ich nicht sagen, aus Angst, mein Vorhaben könnte entdeckt werden.
Wenn ich nicht in meinem Incunabulorum bin, halte ich mich viel in der Küche auf. Mrs Malherbe, die Köchin, deren Umfang gleich ihrer Größe ist, ist eine sehr freundliche Frau. Sie jammert jeden Tag wegen all der Festvorbereitungen. Lady Mandible möchte es nach dem Gastmahl des Trimalchio gestaltet haben – ich kenne die Geschichte von damals, als mein Hauslehrer die Klassiker mit mir durchgenommen hat. Trimalchio ist eine Figur in einer römischen Geschichte von Petronius. Er war Sklave, gewann seine Freiheit und kam zu Reichtum und Macht. Später wurde er berühmt für seine pompös und verschwenderisch gestalteten Festessen. Als ich Mrs Malherbe davon erzählte, stöhnte sie nur.
Die anderen Bediensteten unterhalten sich gern über die Stadt. Sie wissen, dass es dort hart und gewalttätig zugeht, und ich rede es ihnen nicht aus. Ich habe ihnen erzählt, dass ich gern Rätsel löse, und jetzt bestürmen sie mich jeden Tag, sie mit Rätseln zu unterhalten. Heute Vormittag habe ich ihnen das von der bösen Königin erzählt, ich schreibe es Dir am Ende des Briefes auf – vielleicht macht es Dir Spaß.
Natürlich dreht sich das Gespräch oft um die Mandibles selbst. Lord Mandible ist anscheinend ganz anders als seine Frau. Ich habe ihn erst ein- oder zweimal gesehen. Vom Äußeren macht er nicht viel her. Sein Kopf ist breiter als lang, und obwohl er noch nicht alt ist, bekommt er allmählich eine Glatze. Beim Gehen zieht er sein verkrüppeltes Bein nach, und weil dabei seine Hose raschelt, kann er nie lautlos an jemanden herantreten wie zum Beispiel Gerulphus, der immer wie ein Geist erscheint und verschwindet.
Lord Mandible hat zwei Hobbys, Waldschweine jagen und auf dem Cembalo seines Vaters spielen. Wenn er nicht das eine tut, ist er mit dem anderen beschäftigt. An seine Art zu spielen haben sich meine Ohren immer noch nicht
Weitere Kostenlose Bücher