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Das Gift der Schmetterlinge (German Edition)

Das Gift der Schmetterlinge (German Edition)

Titel: Das Gift der Schmetterlinge (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: F.E. Higgins
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aufbewahrt, in Schuldscheinen und Banknoten. Es war eine ansehnliche Summe.«
    »Was ist mit der Familie des Mannes?«
    »Tja, da berührst du den springenden Punkt. Der alte Herr hatte zwar einen Sohn, aber der war ein fauler Strick. Er wusste, was in dem Bein war, er kam und verlangte es von mir als sein rechtmäßiges Eigentum. Ich weigerte mich natürlich. Er drohte mir und ging. In derselben Nacht kam er zurück, und als er annahm, ich würde nicht hinsehen, stahl er es.«
    »Und? Ich meine, habt Ihr hingesehen?«
    »Ich versichere dir, überrumpelt hat er mich nicht mit seiner Rückkehr.«
    »Und das Geld? Was war mit dem Geld?«
    Der Wanderer lachte. »Sagen wir so, als er die Hand in das Bein steckte, hat er eine unangenehme Überraschung erlebt.«
    Jereome runzelte die Stirn. »Weil er merkte, dass kein Geld darin war?«
    »Ja, das auch.«
    Nun war Jereome verwirrt. »Wenn er kein Geld gefunden hat, was dann?«, fragte er.
    Der Fremde rappelte sich auf und verstaute das Holzbein mit einiger Mühe wieder im Rucksack. Er lächelte sonderbar.
    »Nur etwas Kleines, das zufällig hineingekrochen war – und zwar, wie ich eilig hinzufügen will, von ganz allein.«
    »So was wie ein Skorpion vielleicht?«
    »So ähnlich. In jedem Fall war es ein schicksalhaftes Zusammentreffen.«
    »Aber das Bein habt Ihr ja immerhin.«
    »Ich stelle es mir gern so vor, dass es eben zu seinem rechtmäßigen Besitzer zurückgekommen ist.«
    »Und warum bewahrt Ihr es auf?«
    »Ich habe das Gefühl, dass es mir eines Tages nützlich sein könnte.« Der Fremde streckte sich und gähnte. »So«, sagte er energisch, »ich muss weiter. Ich habe einen langen Weg vor mir. Ich muss weiter hinein ins Gebirge.«
    Jereome schauderte. »Warum wollt Ihr dorthin? In den Bergen wird es schon kalt sein um diese Jahreszeit und es wird noch kälter. Ihr solltet im Wald bleiben. Warten, bis der Winter vorbei ist.«
    »Nein, ich muss gehen«, sagte der Fremde. »Ich …«, er zögerte, dann sagte er leise, »ich werde erwartet.« Er betrachtete Jereome mit einem kritischen Blick, bis der Junge das Gefühl hatte, er werde irgendwie eingeschätzt. Dann aber schüttelte der Mann leicht den Kopf und klaubte seine Habseligkeiten zusammen.
    »Ich wünsche Euch alles Gute«, sagte Jereome, was gar nicht seine Art war, und gab ihm die Hand. »Vielleicht treffen wir uns mal wieder.«
    »Vielleicht«, sagte der Fremde und zog seinen Umhang fester um die Schultern. Bei dieser Bewegung streifte der Stoff Jereomes nackte Haut. Die Härchen auf seinen Armen richteten sich auf und er spürte ein Kribbeln am ganzen Körper. Diese Zartheit! So etwas hatte er noch nie berührt. Jereomes Kleider wurden für gewöhnlich von seiner Mutter gewebt, sie fühlten sich rau und derb an, und wenn sie nass waren wie in dieser Jahreszeit meistens, rochen sie ziemlich unangenehm. Wie benommen von der Berührung durch den Umhang sah Jereome hinter dem Fremden her.
    »Wartet«, rief er ihm nach. »Ich muss Euch noch etwas fragen.«
    Der Mann war schon stehen geblieben.
    »Euer Umhang. Was ist das für ein Material?«
    »Reine Jocastarwolle«, sagte der Mann. Dann verschwand er im Wald und ließ Jereome in einem Aufruhr verwirrender Gefühle zurück. Erst jetzt fiel ihm auf, dass er den Fremden nicht einmal nach seinem Namen gefragt hatte.
    Und was war mit dem Geld im Holzbein?, dachte Jereome, doch nun war es zu spät.
    Am Abend, als Jereome bei Eintopf mit Speck und Eichelbrühe saß, erzählte er seinen Eltern von dem Fremden.
    »Jocastar?«, fragte sein Vater stirnrunzelnd. »Dass du mir bloß nicht auf dumme Gedanken kommst«, sagte er ruppig. »Jocastar ist nichts für unsereins. Der teuerste Pelz der Welt, zum feinsten Stoff gewebt! Dieses Tier ist nur an den höchsten Berghängen zu finden, und da steigen höchstens Dummköpfe rauf, um an die Wolle zu kommen. Hier unten gibt’s jedenfalls mit Sicherheit keine Jocastars.«
    »Ich …«, setzte Jereome an, aber nach der Miene seines Vaters zu schließen, schien eine Vertiefung des Themas nicht erwünscht.
    In dieser Nacht lag Jereome bis in die frühen Morgenstunden wach, so durcheinander war er. Wenn er an das Gefühl des Umhangs auf seiner Haut dachte, kribbelten ihm noch jetzt die Fingerspitzen. Plötzlich schien ihm Jocastar all das zu verkörpern, was er sich ersehnte, was ihm aber vom Leben verwehrt war. Er wollte sich nicht demselben, nicht enden wollenden Martyrium unterwerfen wie sein Vater. Er hatte auf einmal

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