Das Gift der Schmetterlinge (German Edition)
Zukunftspläne und darin spielte der Wald keine Rolle. Auch nicht die Schweine.
Warum soll dieser Wanderer, kein reicher Mann dem Anschein nach, ein so luxuriöses Kleidungsstück besitzen und ich nicht?, fragte er sich. Ist er denn besser als ich?
Und in dieser Nacht schwor er sich, dass er eines Tages einen Umhang aus Jocastar besitzen würde, und zwar mit allem Drum und Dran …
Bovrik schüttelte seine Träumereien ab. Die Ironie der Situation, dass er nämlich nur wenige Meilen von dem Ort, wo er als einfacher Bauernsohn geboren war, ein so nobles Leben führte, ließ ihn immer wieder schmunzeln.
Er sprühte einen Hauch seines Lieblingsparfüms in die Luft, ging rasch durch die Zitronenduftwolke und wandte sich dann wieder seinem Kästchen mit den Glasaugen zu, um eins für den Tag zu wählen.
»Eene, meene, muh,
Lord M find’ bald wohl Ruh,
Und der neue Lord bist du,
Eene, meene, muh.«
Nachdem er das entsprechende Glasauge glücklich gefunden hatte, nahm er seine mit Tee gefüllte Tasse. Die Teeblätter dieser Sorte, Lady Mandibles Lieblingstee, stammten von seltenen Teesträuchern, die nur an geheimen Orten im Orient wuchsen, und wurden in Ellbogenhöhe mit der Hand gepflückt. Bovrik prostete der Luft zu.
»Hoch sollst du leben, Augustus Fitzbaudly«, sagte er. »Ohne dich wäre ich nicht so weit gekommen.«
Nun, wo blieb denn der Junge? Bovrik hatte eine Besorgung zu erledigen, und er genoss es sehr, Bedienstete zu haben, die er herumkommandieren konnte.
Kapitel 19
Knapp entkommen!
H
ector gab sich Mühe, möglichst leise zu atmen, aber er war innerlich angespannt, seine Brust wie zusammengeschnürt. Er kauerte in unbequemer Stellung unter einem Busch, und ein Ast pikte ihn in den Hinterkopf, aber er durfte sich jetzt keinen Laut erlauben. Vor ihm dehnte sich eine kleine Lichtung in dem ansonsten düsteren und dichten Wald aus jahrhundertealten Eichen. Ihr Holz bildete die Quelle für einen großen Teil der Innenausstattung von Withypitts Hall: die Wandvertäfelungen, die breiten Holzdielen (dort, wo die Böden nicht aus Marmor waren) und natürlich der wuchtige Esstisch im großen Speisesaal.
Eisregen fiel, aber Hector hatte sich fest in den Umhang seines Vaters gehüllt. Er hatte die Kapuze tief in die Stirn gezogen und der grüne Stoff ließ ihn fast mit seiner Umgebung verschmelzen. Kein Mensch konnte ahnen, dass er hier war. Ein Mensch nicht, aber vielleicht ein – Tier ?
Nur wenige Meter von seinem Versteck entfernt stand ein Borstenrückenschwein.
Ein Prachtexemplar und ganz besonders stark behaart, schien es Hector selbst für ein Borstenrückenschwein ungewöhnlich groß. Es wirkte urtümlich, die Schnurrhaare waren grau, doch der Borstenkamm auf seinem Rücken sah genau so aus, wie Hector es immer gehört hatte: schwarz glänzend und wie angesengt. Eine Weile hatte es in Withypitts Hall Gerüchte gegeben – von Lord Mandible mit großer Aufregung begrüßt –, dass eine Anzahl besonders großer Schweine durch den Wald streifen sollte. Allerdings waren sie erst wenige Male und auch nur in großen zeitlichen Abständen gesichtet worden. Hector bezweifelte aber nicht, dass dieses Schwein hier eins von den sagenhaften Tieren sein musste.
Es war das dritte Mal, dass er sich in den Wald vorwagte. Lady Mandible brauche eine größere Menge Schweinsborsten, hatte ihn der Baron wissen lassen, und Hector hatte die Aufgabe übernommen. Er war ganz froh, wenn man ihm irgendwelche Besorgungen auftrug, denn solange die Kokons kühl lagen, verlangten sie kaum Fürsorge, und seiner inneren Verfassung kam es durchaus entgegen, wenn er immer etwas zu tun hatte. Außerdem war es in seinem eigenen Interesse, wenn er in den Wald ging …
Trotz der Jahreszeit schienen die Borstenrückenschweine zahlreich unterwegs zu sein und so waren die Borsten auf dem Waldboden und zwischen dem Geäst von Sträuchern und Dornbüschen leicht zu finden. In Withypitts Hall hatte man dafür vielerlei Verwendung, von falschen Augenwimpern über Füllmaterial für Kissen bis hin zu Kosmetikpinseln. Zweimal schon hatte Hector bei früheren Gelegenheiten seinen Beutel ohne Zwischenfall vollgesammelt, diesmal schien es jedoch nicht so glattzugehen.
Das Schwein streckte seine lange, fleischige Schnauze in die Luft und schnüffelte hörbar. Hector hatte das Gefühl, als ahne es seine Anwesenheit. Es hielt den Kopf leicht schräg und äugte dabei mit starrem Blick ins Laub. Aus seinem Unterkiefer ragten zwei
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