Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Gift der Schmetterlinge (German Edition)

Das Gift der Schmetterlinge (German Edition)

Titel: Das Gift der Schmetterlinge (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: F.E. Higgins
Vom Netzwerk:
wurden von jeweils einem Turm gebildet. Zu einem dieser Türme stieg Hector nun über eine steinerne Wendeltreppe hinauf, genauer gesagt, zu dem Turm, in dem er heute Abend Licht gesehen hatte. Er wollte herausfinden, was es damit auf sich hatte. Beim Aufstieg versuchte er, den Eindruck der sonderbaren Begegnung mit Lady Mandible aus seinen Gedanken zu vertreiben.
    Die Stufen schraubten sich an der Innenwand empor und ließen in der Mitte des Turms einen großen, dunklen Abgrund offen. Etwa auf halber Höhe hing an einer langen, starken Kette ein dreireihiger Leuchter, der von der gleichen Art war wie der in Hectors Turm und wie der in dem luxuriöseren und viel weniger verdreckten, den der hinterlistige Baron bewohnte.
    Das tägliche Anzünden der dicken Kerzen und Laternen im Herrenhaus gehörte zu den Pflichten des kleinen Küchenjungen. Bis vor Kurzem war er seiner Aufgabe immer gewissenhaft nachgekommen, wenn auch nur mit großem Widerwillen: Er musste sich dabei nämlich mit seinem hakenförmigen Stock oft weit über das schwache gedrechselte Geländer beugen, mit einer Hand den jeweiligen Leuchter heranziehen und gleichzeitig mit der anderen die Kerzendochte anzünden. Und wie bei den meisten Dingen in Withypitts Hall, so hatte Lady Mandible auch bei den Beleuchtungskörpern die teuersten und kunstvollsten anschaffen lassen. Die komplizierte Gestaltung ihrer Kronleuchter und Kandelaber trug allerdings nicht nur zu deren Schönheit, sondern auch zu ihrem Gewicht bei. Nach getaner Arbeit schmerzten dem Jungen vor Anstrengung die Arme, und weil er nicht schwindelfrei war und oft genug um ein Haar abgestürzt wäre, stand ihm gerade jetzt, in den letzten Wochen vor dem Fest, ständig der kalte Schweiß auf der Stirn.
    Was der Junge nicht ahnen konnte: Hector hatte seit seiner Ankunft im Haus den Hakenstock mehrmals um ein Stück gekürzt, weshalb sich der kleine Lampenanzünder jedes Mal weiter vorbeugen musste. Vor einigen Tagen nun hatte Hector den Zeitpunkt abgepasst und dem Jungen angeboten, für einen geringen Teil seines Lohnes das Anzünden für ihn zu erledigen. Der Junge war bereitwillig darauf eingegangen. Ein gutes Gefühl hatte Hector nicht bei diesem Täuschungsmanöver, doch er sagte sich, dass er keine Wahl habe, es gehe nun mal um eine größere Sache. Als Lampenanzünder hatte er freien Zutritt zu sämtlichen Gängen und Türmen von Withypitts Hall – eine Möglichkeit, alles im Auge zu behalten, besonders die Zimmer des Barons. Außerdem war das zusätzliche Geld nicht zu verachten, da das Fest und somit Hectors Aufbruch unmittelbar bevorstanden.
    So stieg Hector nun auf den verlassenen Turm, Stock und Span als rasche Ausrede bereit, falls ihn jemand hier fände. Am Ende der Treppe war eine Tür mit einem großen Vorhängeschloss am Riegel und einem kleinen verschiebbaren Holzeinsatz in der Füllung. Vorsichtig legte Hector das Ohr an die Tür, konnte aber von drinnen keinen Laut hören. Durch die Ritzen rund um den Holzeinsatz drang jedoch Licht und so holte er tief Luft, bewegte das Schiebeteil leise und behutsam ein Stück zur Seite und linste durch die Öffnung.
    Eine Gestalt mit Hut lag auf einem schmalen Bett an der gegenüberliegenden Seite des Raumes, der ansonsten fast kahl war. Der Bursche wirkte erstaunlich unbefangen und hatte die Hände hinter dem Kopf verschränkt. Nach einer Weile schob er seinen Hut zurück und fing an zu pfeifen, eine Melodie, die Hector wiedererkannte.
    Er war verblüfft. Auf einmal wusste er, wer dieser pfeifende junge Mann war: der Fremde, der ihm im Wald das Leben gerettet hatte, derselbe, der ihm aus irgendeinem Grund so bekannt vorkam.
    »Holla!«, rief der Mann, der durch den lauten Japser auf Hector aufmerksam geworden war. Er setzte sich auf. »Willkommen vor meinem Gelass.«
    »Was machst du denn hier?«, fragte Hector. »Warum bist du eingesperrt?«
    »Meine Schuld«, antwortete der fröhliche Kerl. Er erhob sich, kam an die Tür und blinzelte mit seinen grünen Augen durch die Öffnung. »Ich hätte es besser wissen müssen und mich nicht im Wald herumtreiben dürfen. Lord Mandible war gerade auf der Jagd, und als er mich aufgestöbert hat, war er sofort davon überzeugt, dass ich seine Schweine wildere.«
    Hector war nahe daran, sich bei dem Fremden zu entschuldigen – aus irgendeinem Grund fühlte er sich für dessen Missgeschick verantwortlich, wenn er auch nicht wusste, warum. »Ich begreife nicht, warum du so vergnügt bist«, sagte Hector

Weitere Kostenlose Bücher