Das Gift des Boesen
existiert nicht mehr. Heidekraut wuchert in jedem Raum und bildet ein weiches Polster, auf das wir uns herabsinken lassen.
Landru beugt sich über mich. Als er die Knöpfe meiner Bluse öffnen und die Hand hineinschieben will, gebiete ich ihm Einhalt.
Er versteht, als ich mit Daumen und Zeigefinger an der Maske zupfe, die mich stört. Sitzend richtet Landru den Oberkörper kerzengerade auf und legt beide Handflächen gegen die Wangen. Kleine magische Entladungen umzüngeln seine Finger. Wie ein Egel löst sich die lebendige Maske aus Fleisch und Blut mit einem saugenden Geräusch von seinen wahrhaftigen Zügen.
Achtlos legt Landru die Maske, die er - wie den Lilienkelch - einst im Dom der Hüter fand, neben sich ins Kraut.
Andere Lippen als eben noch suchen meinen Mund. Die Zunge ist die gleiche - wie sonderbar.
Doch dann vergesse ich solche Nebensächlichkeiten.
Kräftige Hände fahren über meinen Bauch hoch zu den Brüsten. Ich atme schneller. Ich höre auf, an gestern-heute-morgen zu denken. Allein das Jetzt zählt. Und nicht einmal das wirklich.
Die Zeit scheint stillzustehen, und als ich wieder zu mir komme, wieder die braunen Steine sehe, aus denen diese Villa einst erbaut wurde, könnte ich nicht sagen, wie lange es gedauert hat, bis Landru sich in mich verströmt hat. Ich liege über ihm. Sein Glied ist noch hart und in mir. Ganz ruhig liegen wir da, über uns die ersten Sterne, die in der Dämmerung sichtbar werden.
Ich spüre Kratzspuren auf meinem ganzen Körper verteilt. Ähnliche Male habe ich selbst auf Landrus Haut hinterlassen.
Sie werden heilen. Ich kann zusehen, wie sie verschwinden.
Draußen klingen Schritte auf. Zweige brechen. Philippe ist zurückgekehrt und legt Holz nach, um das Feuer in Gang zu halten.
Das Feuer in mir schwillt allmählich ab. Eine Weile verharren wir noch, hängt jeder von uns beiden seinen Gedanken nach. Dann steige ich von Landru ab, stehe auf und schlüpfe in die abgelegten Kleider.
Landru macht keine Anstalten, es mir gleichzutun.
»Willst du nicht aufstehen?«
Er verneint. »Geh ruhig schon voraus. Hier ist ein guter Platz, um sich treiben zu lassen. Ich komme nach, wenn es mir zu einsam wird.«
Das kann lange dauern. »Du bist besorgt.« Ich zögere, ihn hier sich selbst zu überlassen.
»Unsinn.«
»Du kannst mir nichts vormachen. Ich kenne dich. Ist es wegen der gestohlenen Kindsleichen?«
Landru verzieht keine Miene. Selbst die Maske neben ihm wirkt in diesem Moment ehrlicher. »Sind wir noch aus einem anderen Grund hierher gekommen?«
»Ich ja.«
Er nickt. »Ich weiß. Du hast oft davon gesprochen, eines Tages nachsehen zu wollen, ob noch Leute in Perpignan leben, die mit dir verwandt sind - und sei es noch so weitläufig. Aber dafür hast du dir ein wenig zu lange Zeit gelassen, fürchte ich.«
»Das wird sich zeigen. - Also: Was ist? Bereust du, mit mir gekommen zu sein? Hältst du es für Zeitvergeudung?«
Er schüttelt kaum merklich den Kopf. »Im Gegenteil. In Ruscino sprachen sie davon, daß das neunte Kind in Folge aus seinem frischen Grab gestohlen wurde - und das, obwohl die Friedhöfe Tag und Nacht bewacht werden. Anfangs mochte man noch an ein einmaliges Vergehen eines Verrückten glauben. Aber es blieb ja nicht bei dem einen Mal ...«
»Es kann immer noch ein Verrückter dahinterstecken.«
»Dann müßte es schon ein Verrückter mit Macht und Fähigkeiten sein, die sonst höchstens deines- und meinesgleichen auszeichnen!«
Er hat recht, räume ich zögernd ein, spreche es aber nicht aus, deshalb sind wir hergekommen: Er, weil ein abartiger Vampir hinter den Grabschändungen und Leichendiebstählen stecken könnte, und ich - weil es ebensogut ein Abartiger mit dem Wolfsfluch im Blut sein kann.
Letzteres liegt angesichts meiner ganz persönlichen Verbindungen zu Perpignan sogar näher, denn Landrus Bekunden zufolge existiert in dieser Stadt noch keine Sippe, was aber nicht ausschließt, daß es einen schwarzblütiger Einzelgänger hierher verschlagen hat. Auch wenn die Alte Rasse normalerweise Orte mit den Insignien des christlichen Glaubens wie die Pest meidet.
Nein, im Grunde besitzen wir überhaupt keinen Anhaltspunkt -so wenig wie die ermittelnden Behörden -, wer hinter den Leichenverschleppungen steckt. Für mich sind diese Vorkommnisse, die auch außerhalb Perpignans hohe Wellen der Empörung schlagen lassen, der lang gesuchte Anlaß gewesen, mich endlich dazu aufzuraffen, der Stadt meiner Geburt einen Besuch abzustatten.
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