Das Gift des Boesen
mit seinem Herrn gelitten? Zwischen Vampiren und den untoten Trägern ihres Keims bestehen ganz besondere Bande .
Ich erreiche die Kutsche, finde den Beutel aus Schweinsleder, in dem der Lilienkelch steckt, und renne damit zu Landru zurück. Im Laufen schäle ich das uralte Artefakt aus der Umhüllung. Es ist weder leicht noch schwer. Sein Gewicht läßt sich nicht in gebräuchlichen Maßeinheiten ausdrücken. Es ist Macht - pure Macht, und wenn ich versuchte, das, was in ihm schlummert, für eigensüchtige Ziele zu erwecken und einzusetzen, so würde es mich erbarmungslos töten!
Als ich wieder neben Landru knie, scheint sich sein Zustand verschlimmert zu haben. Er ist noch immer nackt, die Kleidung liegt abseits, und obwohl die Fackel erloschen ist, sehe ich, daß sein Körper aufgedunsen ist und noch mehr Hitze ausstrahlt. Ich sehe es in dem zuckenden Schein, den die Maske ausströmt; ein widernatürli-ches, magisches Licht.
»Landru .« Ich öffne seine Hand und drücke den Stil des Lilienkelchs hinein.
Die Augen des Hüters sehen mich an. Scham flackert darin. Daß ich ihn so hilflos sehe, scheint ihn beinahe mehr zu quälen als die Schmerzen, die in ihm toben.
Ich versuche ihm - auch nur mit Blicken - zu verstehen zu geben, daß er sich darum nicht scheren soll. Daß er weiterkämpfen und siegen muß!
Er karges, flüchtiges Lächeln schimmert durch seine verzerrten Züge. Oder bilde ich mir das nur ein?
Als der Lilienkelch in seiner Hand purpurrot aufleuchtet, weiche ich zurück. Ich habe keinen Zweifel, daß die Kräfte des Kelchs Landru in Schutz nehmen werden - wovor auch immer.
Die Zuckungen der Maske erlahmen. Auch das ist für mich ein Zeichen, daß der Kelch dabei ist, die Bedrohung zu bannen, die Besitz von Leib und Seele des Hüters ergriffen hat. Die Purpuraura hüllt Landru von Kopf bis Fuß ein. Aber das, was seine Züge entstellt, geht nicht zurück. Der Körper bleibt aufgedunsen, und als das Purpurfeuer schließlich erlischt .
. kippt der Kelch aus Landrus immer noch entkräfteten Fingern!
Mein Herz überspringt einen Takt.
Aus Landrus Mund löst sich ein Flüstern. »Er kann . mir nicht . helfen .«
Ich bin wie zur Salzsäule erstarrt.
Dann überwinde ich meine Sprachlosigkeit, eile zu ihm zurück, bin ganz nah bei ihm. Sein Körper scheint mehr Hitze auszustrahlen als das Feuer, das Philippe draußen in Gang hält.
Die Maske rührt sich nicht, glimmt auch in keinem Licht mehr, gerade so, als sei sie abgestorben.
Landru lebt noch. Noch.
»Nicht helfen?« schreie ich ihn an, als könnte ich ihn zwingen, sei-ne Lebensgeister wachzuhalten. »Der Kelch kann Tote erwecken! Er vermag Armeen niederzumähen und jede Festungsmauer einzureißen . Wie kann er hier versagen? Vielleicht dauert es ein wenig, bis seine Hilfe wirksam wird, aber du stirbst doch nicht! Der Kelch läßt seinen Hüter doch nicht im Stich ...!«
Aus mir sprudelt, was mir gerade in den Sinn kommt. Wäre ich bei klarem Verstand, wüßte ich, wie wenig ich über den Kelch weiß. Aber ich bin völlig außer mir.
»Der Kelch hat ... versucht, mir zu ... helfen. Er läßt mich nicht ... im Stich. Er ist ... nur machtlos.«
»Machtlos?«
»Er weiß nicht, was ... in mich gefahren ... ist.«
Das will ich nicht akzeptieren. »Versuch es noch mal!« Ich greife nach dem Kelch.
»Sinnlos ...«, weht es aus Landrus Mund. Und nach eine kurzen Pause fügt er in einem fast zusammenhängenden Satz hinzu: »Aber ich glaube nicht, daß ich . sterbe .«
Sollte mich das erleichtern?
Sein Anblick birgt kein Fünkchen Hoffnung. Wenn selbst der Kelch es nicht schafft, das Krankheitsbild zu erkennen und zu beseitigen - wer dann?
Schon das Wort »Krankheit« ist in Verbindung mit Landru paradox ...
»Hol Philippe! Ihr beide ... müßt mich ... in die Kutsche tragen.«
»Und dann?«
»Nach Perpignan.«
Ich mißverstehe ihn. »Sollen wir einen Arzt suchen, der -«
»Kein Arzt könnte mir helfen«, unterbricht er mich. »Nein, im Moment kann . ich selbst nur . abwarten. Vielleicht verschwindet es wieder, wie es . gekommen ist .«
»Was ist es? Wie fühlt es sich an?«
»Vielleicht werde ich es ... dir später einmal ... sagen.«
Wenn ich es überlebe. Das sagt er nicht, aber er meint es.
Ich weiß nicht, was ich tun soll.
»Hol . Philippe .«
Ich zögere immer noch. Weil ich Angst habe, daß er, wenn ich zurückkomme, nicht mehr am Leben ist.
»Geh!«
Endlich überwinde ich mich. Landrus Befinden ist unverändert, als ich
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