Das Gift des Boesen
mit Philippe zusammen die Ruine betrete. In dieser Situation schöpfe ich daraus sogar Kraft.
Ich kleide Landru notdürftig an, und zu zweit verfrachten wir ihn in den Verschlag der Kutsche, wo wir ihn auf eine der Sitzbänke legen. Er ist bei Bewußtsein und bittet mich, nicht nur den Kelch, sondern auch sein falsches Gesicht aus der Ruine zu holen. Auf beides will er nicht verzichten. Die Maske anzufassen kostet mich Überwindung. Und dem Kelch bringe ich fast Haßgefühle entgegen, weil er versagt hat. Beide zeigen keine Rührung.
Das Feuer brennt noch, als wir unser Lager wenig später mit dem Zweispänner verlassen.
Noch vor Morgengrauen erreichen wir die Stadtmauer. Landru muß seine letzten Reserven mobilisieren, um die Wachen zu »überreden«, uns Einlaß zu gewähren. Aber er schafft es.
Und so fahren wir unter gänzlich anderen Umständen, als ich erwartet hatte, in die Stadt ein, die ich als kleines Mädchen in Begleitung meines Vaters unter ähnlich schlechten Vorzeichen und zu ähnlich dunkler Stunde einst verlassen habe .
*
Am nächsten Vormittag hat sich Landrus Zustand nicht gebessert -aber auch nicht weiter verschlechtert. Ich rede mir ein, daß dies ein gutes Omen sei. Doch in mir herrscht große Skepsis.
Wir haben nicht - wie sonst auf unseren Reisen - die beste Herber-ge vor Ort bezogen. Landru hielt es für unklug. Er weiß nicht, ob Reisende wie wir dort nicht für unbotmäßiges Aufsehen sorgen würden, zumal er nicht garantieren kann, auch in Zukunft den Willen anderer Menschen brechen zu können. Deshalb steht unsere Kutsche nun im Hof eines eher bescheidenen, etwas heruntergewirt-schatteten Gasthofs, und wir haben uns vorerst auf die Überzeugungskraft klingender Münze verlassen.
Philippe ist in unserem Auftrag unterwegs, während ich nicht mehr von Landrus Seite weiche, seit wir unsere spartanische Unterkunft unter dem Dach des Hauses bezogen haben. Hie und da liegt der Kot von Mäusen oder Ratten auf den abgewetzten Dielen. Aber ich habe schon in ärgeren Verhältnissen genächtigt.
Der aufgedunsene Körper, der auf der schlichten Bettstatt ruht, vor der ich auf einem wackeligen Holzstuhl sitze, wirkt wie eine boshaft ersonnene Karikatur meines Geliebten. Landrus Züge, sein ganzer Leib sind immer noch aufgedunsen, wie unter einer wassertreibenden Krankheit. Er ist unentwegt wach; ich glaube, er hat seit dem Beginn des Prozesses draußen vor der Stadt noch kein Auge zugetan. Wie zwei dunkle Seen ruhen die Pupillen in der bleichen Fläche aus aufgeschwemmtem Gewebe, das noch immer Hitze ausstrahlt. Es ist, als stünde er in einem Fegefeuer, hat Landru es mir zu beschreiben versucht - aber der Vergleich ist zu abstrakt, als daß ich mir etwas darunter vorstellen könnte.
Offenbar fühlt er sich, als würde er von innen heraus austrocknen. Die Ursache dafür ist weiter unbekannt.
In gewissen Abständen versuche ich es mit altbewährten Hausmitteln, die fiebernden Menschen Linderung bringen: lauwarme Wickel, behutsame Massagen, um das vermeintliche Wasser aus seinen Gliedern zu treiben, und dergleichen mehr.
Beides schlägt bis zur Stunde nicht an, und ich habe kaum noch Hoffnung, daß sich daran etwas ändert.
Das einzige, was mich überhaupt hoffen läßt, ist, daß sich Landrus Zustand auch nicht weiter verschlechtert hat.
Der Grund dafür könnte jedoch auch sein, daß es keine Steigerung mehr gibt - und daß das nächste Stadium der plötzliche und unwiderrufliche Tod sein wird .
Ich sperre mich gegen diese Möglichkeit. Sie ist so ... absurd. Und immer wieder nehme ich den Lilienkelch zur Hand, der aussieht wie immer und sich doch ohnmächtig gibt, als hätte er sich mit dem Schicksal seines Hüters abgefunden.
»Hilf ihm!« rinnt es auch jetzt flüsternd-flehend über meine Lippen, als ich auf den Grund des Gefäßes blicke und mich zu meiner Verwunderung darin sehe, als wäre es ein Spiegel. Aber dieses Spiegelbild zeigt meine verborgene Natur, zeigt, was Menschen, sähen sie mich jetzt, nicht erkennen könnten.
Verblüfft schaue ich zu Landru, um von ihm eine Erklärung zu erbitten. Doch sein Blick ist so gläsern, daß ich entsetzliche Momente lang fürchte, er könne leise und unbemerkt sein Leben ausgehaucht haben.
Aber müßte er dann nicht zu Staub zerfallen, zu kalter Asche, wie jeder Vampir .?
Es klopft an die Tür, und ich bin kurz davor, in Panik zu verfallen. Doch es ist lediglich Philippes Stimme, die um Einlaß bittet.
Ich schnarre die Erlaubnis,
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