Das Gift des Sommers: Thriller (German Edition)
Zunge gegen die Wange.
» Ist ein Brief wirklich die Lösung?«, fragte ich. » Warum rufst du ihn nicht an? Hast du seine Nummer?« Mit ausdrucksloser Stimme sagte Rex die siebenstellige Londoner Nummer her. » Aber er wird beschäftigt sein.«
» Vielleicht nicht. Ruf ihn jetzt an, solange Biba weg ist und Guy schläft. Schnell, bevor du es dir anders überlegen kannst.«
Rex schob die Hände in die Taschen, schlurfte hinaus und ging langsam die Treppe hinunter. Ich schob die restlichen Briefe zu einem säuberlichen Stapel zusammen und setzte mich hin, um sie zu lesen. Er war wieder da, bevor ich den ersten überflogen hatte.
» Er war nicht da?«, vermutete ich.
Rex hatte das Gesicht in nachdenkliche Falten gelegt. Er fuhr sich mit der Hand durch die Haartolle und bis hinunter in den Nacken, wo er sie liegen ließ. » Nein, er war da.«
» Oh, mein Schatz. Er hat doch nicht einfach aufgelegt?«
» Nein.« Er rieb sich die Bartstoppeln am Kinn. » Es war ziemlich merkwürdig. Er will sich auf einen Drink mit mir treffen.«
» Aber das ist doch fabelhaft!«, rief ich. » Wann?«
» Jetzt. Na ja, in zwei Stunden. Sobald ich in Hampstead sein kann.« Er lächelte zaghaft. » Ich war noch nie mit meinem Dad etwas trinken. Genau genommen war ich nicht mehr allein mit ihm, seit ich zehn war. Er will, dass ich ohne Biba komme.« Vor meinem geistigen Auge sah ich wieder, wie sie die Harke auf das Auto niederfahren ließ.
» Das ist vielleicht auch das Beste«, sagte ich. Er öffnete den Umschlag, nahm ein paar mit Hervorhebungen versehene Seiten mit Präzedenzfällen heraus und warf sie dann auf den Sekretär.
» Wie komme ich auf die Idee, so was mitzunehmen? Ich kenne es sowieso alles auswendig. Er wollte sich mit mir treffen, und ich wäre verrückt, wenn ich da auf Konfrontationskurs ginge. Vielleicht will er ja einlenken. Vielleicht ist es jetzt so weit, Karen. Vielleicht wird jetzt wirklich alles gut. Ich werde mit leeren Händen und ganz unvoreingenommen hingehen.«
In seinem Abschiedskuss schmeckte ich die freudige Erwartung.
» Ich tue das für dich genauso wie für mich und Biba«, sagte er.
» Ich weiß, mein Schatz. Ich freue mich darüber. Viel Glück.«
Ich schaute ihm nach. Er wirkte größer, und etwas schien zu fehlen. In Hemdsärmeln sah er allzu sehr nach leeren Händen aus– als habe er beschlossen, die Bürde der Verantwortung abzuwerfen, und trage stattdessen die leichte, unzuverlässige Last der Hoffnung.
Guy tauchte am frühen Nachmittag auf, gähnend und mit nacktem Oberkörper, als ich mir gerade in der Küche ein Baconsandwich machte. Er war ungeduscht und hatte sich die Zähne nicht geputzt; er trug Fußballshorts, und in seinen Augenwinkeln klebten die Reste des Schlafs. Er tat nicht länger hoffnungsvoll und großspurig, sondern sah allmählich ziemlich elend aus.
» Alles klar?«, fragte er. Es war keine Begrüßung, die zu einer Antwort einlud, aber ich gab ihm trotzdem eine.
» Geht so, Guy. Und selbst?«
» Ich fühle mich beschissen.« Er spähte in meine Pfanne. » Wusstest du, dass brennendes Menschenfleisch und bratender Speck genau gleich riechen? Hat mir ein Feuerwehrmann erzählt. Deswegen essen Feuerwehrleute kaum jemals Baconsandwiches.«
» Vielen Dank für diese Information.« Ich legte den Speck zwischen zwei dicke Weißbrotscheiben, schnitt mit dem Brotmesser diagonal durch das Sandwich und sah zu, wie der Ketchup zwischen den Krusten hervorblutete. Ich hielt es mir ein paar Sekunden vor die Lippen, aber Guys unappetitliche Perle der Trivialität wollte mir nicht aus dem Kopf gehen. Ich legte das Sandwich wieder auf den Teller.
» Ich esse es, wenn du nicht willst«, sagte er und verschlang die Hälfte mit einem Bissen. Als ich sah, wie Brot, Speck und Ketchup in seinem offenen Mund zermanscht wurden, war das der letzte Nagel im Sarg meiner Beziehung zu Baconsandwiches. Ich entschuldigte mich und flüchtete nach oben, wo ich ihn nicht sehen, hören oder riechen musste.
Als er das Sandwich vernichtet hatte, kam Guy mir nach ins Samtzimmer. Ich faltete Rex’ Dossier zusammen, als er neben mir auf dem Sofa zusammensackte und sein Tagesgeschäft in Angriff nahm: Mit geschickten Fingern rollte er aus mehreren Blättchen Zigarettenpapier einen langen, spitzen Kegel. Seine Arbeitsfläche war das Buch mit den Luftbildern. Die Seite mit Bibas Klippe war aufgeschlagen. Der Knick zwischen den beiden Seiten war bereits voll von Tabakskrümeln, und ich sah, wie
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