Das Gift des Sommers: Thriller (German Edition)
Schritte, um herauszufinden, was seine Rechte waren– ein Weg, der unausweichlich zur Konfrontation führen würde, nicht zur Versöhnung. Ob er damit Erfolg hatte oder nicht, das enge Verhältnis zu ihrem Vater, das beide Kinder ersehnten, würde dabei wahrscheinlich nicht herauskommen. Kein Wunder also, dass er es deshalb so lange hinausgeschoben hatte. Einen Anwalt konnte Rex sich nicht leisten; deshalb recherchierte er selbst. Er setzte sich in die Highgate Library auf Shepherd’s Hill und brachte sich den Umgang mit dem Internet bei. Was er herausfand, war nicht ermutigend. Die Computerausdrucke, die er jeden Tag nach Hause brachte, stammten nicht von Anwaltskanzleien, sondern von Obdachlosen-Hilfsorganisationen, und eines Nachmittags hörte ich, wie er mit der Bürgerberatung telefonierte und sich nach den Rechten von Hausbesetzern erkundigte. Hausbesetzer! Er und seine Schwester wohnten nicht einmal als Mieter im Haus ihres Vaters. Im Schreibwarenladen in Muswell Hill kaufte er sich einen Spiralblock, um seinen Fall zu Papier zu bringen, und einen großen Umschlag für lose Dokumente. Abends, wenn ich es unter irgendeinem Vorwand vermied, mir Briefe anzusehen, die Angebote zum Studium am anderen Ende der Welt enthielten, studierte Rex seine Unterlagen. Er starrte sie an, als sei die Antwort dort zu finden, verschlüsselt und in Form von Tinte und Papier, und nicht in einem großen Haus mit einem unüberwindlichen Tor jenseits von Hampstead Heath.
Er saß an dem alten roten Sekretär, an dem seine Mutter ihre ganze klägliche und vergebliche Korrespondenz verfasst hatte, und fing an, Briefe an seinen Vater zu entwerfen. Sein Stift drückte sich durch das Papier auf die lederbespannte Schreibtischfläche und hinterließ dort Kerben, und seine eleganten, spitzen Buchstaben machten ein Palimpsest aus dem verzweifelten Gekritzel seiner Mutter. Wäre ich abergläubisch, hätte ich gesagt, das sei ein schlechtes Omen. Wenn Biba gewusst hätte, was ihr Bruder unternahm, hätte sie es sicher so gedeutet. Aber ich hatte weder abergläubische noch dramatische Neigungen und wies ihn nicht auf diese Parallele hin. Stattdessen stand ich dicht hinter ihm und las, was er schrieb. Einige der Briefe waren förmlich mit Rex und Roger Capels Adressen überschrieben wie in einer geschäftlichen Korrespondenz. Bei anderen sparte er sich die Förmlichkeit so weit, dass er sogar auf die Anrede » Lieber Dad« verzichtete. Manche brachen nach ein, zwei Sätzen ab, und zögernde Zeilen wie » Ich schreibe Dir, weil…« oder » Ich hatte einfach das Bedürfnis zu sagen, dass…« versandeten im weißen Nichts des Papiers. Ein paar seiner Entwürfe lasen sich fast so versöhnlich wie eine Bitte um Verzeihung, dann wieder hatten sie einen verfahrensrechtlichen Duktus oder waren emotional und weitschweifig, Memoiren eher als Überredungsprosa. Manchmal bettelte er. Manchmal drohte er.
» Ich versuche herauszufinden, womit ich ihn besser überzeugen kann, mit Honig oder mit Essig«, sagte Rex und legte seinen Kugelschreiber quer über ein leeres Blatt. Wahllos zog ich einen Bogen aus dem Stapel. Er begann ganz förmlich, verkam aber bald zu weitschweifigen Beschimpfungen, nannte den Adressaten eine selbstsüchtige Fotze und drohte mit rechtlichen Schritten, wenn der Besitz nicht auf der Stelle an Rex überschrieben würde. Eine Zeile stach hervor: Beherrscht, bedacht, einzeln standen die Buchstaben auf dem Papier. » Du bist es uns schuldig. Mit Deinem Weggehen hast du mitgeholfen, Mum umzubringen.«
» Na, das hier ist jedenfalls Essig«, stellte ich fest. Rex nahm mir das Blatt ab, überflog es und verzog schmerzlich das Gesicht, bevor er es zusammenfaltete.
» Gott, ich hatte nie vor, das abzuschicken. Ich musste nur ein bisschen Dampf ablassen. Ich hatte eigentlich nur die rechtlichen Aspekte auflisten wollen, aber dann ist es mit mir durchgegangen. Es klingt ein bisschen heftig, nicht wahr? Kannst du dir vorstellen, dass ich es abgeschickt hätte? Obwohl ich mich besser fühlte, nachdem ich es geschrieben hatte. Wenn ich die ganze aufgestaute Wut zu Papier bringe, wird vielleicht nicht alles aus mir herausplatzen, wenn ich ihm von Angesicht zu Angesicht gegenüberstehe. Aber anscheinend komme ich dem, was ich ihm schreiben sollte, kein Stückchen näher.« Ich hatte ihm jetzt von hinten die Arme um den Hals geschlungen. Das Kratzen seiner unrasierten Wange an meiner glatten fühlte sich schön an. Abwesend stieß er mir die
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