Das Gift des Sommers: Thriller (German Edition)
die gleichen wie die, die damals in der Aula gestanden hatten, und die Wände waren im gleichen, wenig schmeichelhaften Hellblau einer Behörde gestrichen. Aber an den Überwachungskameras unter der Decke und den dunkelblauen Kitteln, die alle Gefangenen trugen, sah ich, dass dies doch ein ganz anderer Ort war. Männer verschränkten die Arme und starrten mich an, als ich an der Wand entlang herumging, statt den Gang durch die Mitte zu nehmen. Im Vorbeigehen sah ich, wie eine Frau, deren Ohrläppchen von einer Reihe goldener Ringe und Stecker fast bis auf die Schultern heruntergezogen wurden, dem Mann ihr gegenüber unter dem Tisch ein winziges Päckchen reichte. Der Blick, den sie mir zuwarf, sorgte dafür, dass ich den Mund hielt. Sie sah sehr viel gefährlicher aus als er.
Rex blickte erst auf, als ich vor ihm stand. Überrascht sprang er auf und stieß seinen Stuhl zurück. Der Stuhl rutschte mit einem lauten Kreischen über die Fliesen, und sofort hob der am nächsten stehende Gefängniswärter die Hand und wandte Rex die Handfläche zu. Rex setzte sich in geübtem Gehorsam wieder hin. Sein Blick ging ein paarmal zwischen dem Bündel auf meinem Arm und meinen Augen hin und her, und immer schneller bewegten seine Augen sich dabei auf und ab. Als sie mich schließlich ansahen, schwammen sie in Ratlosigkeit.
» Hier ist jemand, den du kennenlernen solltest, glaube ich.« Wie auf ein Stichwort öffnete Alice die Augen und blinzelte ihn an. » Das ist Alice.« Ich zog sie aus dem Tuch und setzte sie Rex zugewandt auf den Tisch. » Sag deinem Daddy guten Tag, Alice.« Rex’ Hände schoben sich in sein Haar, und ein nervöses Lächeln teilte sein Gesicht. Sein Ärmel rutschte ein Stück weit hinauf und entblößte einen bösartig violetten Bluterguss. Ich versuchte, nicht hinzusehen.
» Alice«, sagte er, und in seinen Augen standen all die Fragen, zu deren Beantwortung wir keine Zeit hatten. » Karen, du fehlst mir so sehr. Aber das… Ich kann es nicht fassen. Du hast ein Kind bekommen. Ich habe eine Tochter. Wie alt ist sie?«
» Zwei Monate.«
» Warum hast du mir nichts gesagt?«
» Ich wusste es nicht«, sagte ich. Immer wieder hatte ich geprobt, was ich jetzt sagte. » Ich wusste es nicht, und als ich es dann wusste, durfte ich keinen Kontakt mit dir haben… und dann wusste ich nicht, wo du warst.«
» Das kapiere ich alles nicht«, sagte er. » Wie hast du… Was? Scheiße. Ich weiß nicht, wo ich anfangen soll.«
» Ich war nicht sicher, ob du mich immer noch sehen wolltest.«
» Natürlich will ich dich sehen! Obwohl ich es weiß Gott nicht verdient habe. Darf ich sie auf den Arm nehmen?« Die Frage war nicht an mich gerichtet, sondern an den Wärter, der ihn vorhin zur Ruhe ermahnt hatte. Als der Mann nickte, löste ich mit einer Hand das Tragetuch, sodass Rex sie aufnehmen konnte. Er tat es ganz fachmännisch, eine Hand hinter ihrem Kopf und die andere unter dem Po. Sie hatte vor Kurzem das Kunststück entwickelt, laut zu schreien, wenn sie von einem Erwachsenen zum anderen weitergereicht wurde, aber jetzt ließ sie sich ganz zufrieden und ohne Protest in Rex’ linker Ellenbeuge nieder. Ich legte meine Finger auf seinen Unterarm.
» Ich dachte nicht, dass man mir erlauben würde, dich zu berühren«, sagte ich. » Ich dachte, wir müssten durch eine Glasscheibe mit so einem Telefondings miteinander reden. Er schmiegte das Gesicht an Alices Kopf, und ich ließ die beiden einen Augenblick in Ruhe. Als er wieder aufschaute, stellte er die Frage, vor der mir gegraut hatte.
» Wo ist Biba?«
Ich verachtete mich selbst wegen meiner Feigheit, aber ich ließ eine lange Pause die Arbeit jener furchtbaren Worte tun. Ich senkte den Blick. » Es tut mir so leid, Rex«, sagte ich dann. » Sie hat mein Auto genommen. Es wurde bei Beachy Head gefunden.« Genau wie ich erkannte er sofort, was das bedeutete. Ich machte mich auf ein jammervolles Aufheulen gefasst, aber die Reaktion, die er zeigte, war Resignation, als habe er sich alle schrecklichen Szenarien, die seiner Schwester widerfahren konnten, ausgemalt und einsortiert, und als habe dieses zu seinen Top Ten gehört, was die Wahrscheinlichkeit anging. Er schloss die Augen für einen Moment, und ich sah, dass seine dunklen Pupillen unter den dünnen, blau geäderten Lidern bebten. Er biss sich auf die Lippe und nickte, als bestätige er sich etwas. Ich glaube, das zerriss mir das Herz mehr als jede schockierte oder ungläubige Reaktion.
» Sie hat es
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