Das Gift des Sommers: Thriller (German Edition)
mit so halsbrecherischer Geschwindigkeit, dass niemand die Ereignisse mehr unter Kontrolle hatte.
Der Eingangsflur, eine große Halle mit schwarz-weißen, rautenförmigen Bodenfliesen, nahm fast das ganze Erdgeschoss in Anspruch. Die Fliesen sahen eher aus, als seien sie für eine Gartenterrasse gedacht, nicht für einen Innenraum. Hier und da fehlte eine, und man sah den Zementboden darunter. Viele waren rissig, und die Glasur war abgenutzt, sodass sie nicht mehr blank waren, sondern stumpf und porös. Vorhandene Flecken sahen aus, als seien sie dauerhaft, und neue würden sich nicht mehr entfernen lassen.
Eine riesige Treppe beherrschte den Flur, beleuchtet von einer Kette von Papierlaternen, die um das Geländer geschlungen war. Im Zwielicht suchte ich mir meinen Weg, und ich war froh, dass es zu dunkel war für Blickkontakte mit den Leuten, die mit gekreuzten Beinen auf dem Boden saßen. Ich versuchte, mich mit zielstrebigem Schritt durch das Haus zu bewegen, und ich war dankbar dafür, dass niemand mich beobachtete, denn ich musste immer wieder umkehren. Das Haus war ein unpraktisches Labyrinth von Korridoren, die gewunden hierhin und dahin führten, hinunter und wieder hinauf, und oft nirgendwo anders als bei einem Fenster oder einem Schrank endeten. Keine zwei Zimmer in einem Stockwerk lagen auf derselben Ebene. Es gab kein durchgehendes Design, das mich durch dieses Labyrinth hätte führen können: Teppiche wechselten mitten in einem Gang das Muster, und ein Mischmasch aus den verschiedensten Wandbekleidungen enthielt jede Inneneinrichtungsmode des vergangenen Jahrhunderts vom verstaubten Stuck über Velourstapeten bis zum blasigen Anaglypta. Ich fand einen Wäschetrockenschrank und zwei Badezimmer; im zweiten lag ein schlafender Mann in der Badewanne, und sein weißes T-Shirt war vollgekotzt. Drei Jahre, in denen ich zahllose gemütliche Abende vor den Arztserien im Fernsehen verbracht hatte, lösten einen Reflex aus: Unversehens war ich dabei, ihn wachzurütteln. Er sah sehr gut aus, stellte ich fest, als ich ihn bei den Schultern hielt und versuchte, ihn aufzurichten.
» Ich muss deine Atemwege freimachen«, sagte ich zu ihm. » Bitte. Wach auf. Du kannst an deinem Erbrochenen ersticken.« Blutunterlaufene Augen fokussierten sich mühsam auf mich und schlossen sich dann erleichtert, als ihm der Grund meiner Besorgnis klar wurde.
» Oh, das ist okay, Süße«, sagte er. » Das ist nicht meine Kotze.« Mein Versuch, gelassen auszusehen, als ich die Tür hinter mir schloss, war verschwendete Energie: Er war nach wenigen Sekunden wieder eingeschlafen oder besinnungslos.
Ein schachtelgroßes Zimmerchen nebenan war leer bis auf ein uraltes Laufband und ein Schlagzeug. Das Trommelfell der Bass Drum vibrierte sichtbar im Takt der Musik, die das Mauerwerk des Hauses erzittern ließ. Im ersten Stock fand ich die Küche, eine Speisekammer eher, viel zu klein für ein so großes Haus. Schwarze Schimmelflecken sprenkelten die hellblau verputzten Wände; der Stecker des Kühlschranks saß in einer zerbrochenen Steckdose, und grüne und rote Drähte quollen aus einer Wand. Spüle und Abtropfplatte ächzten unter Unmengen von Plastikbechern und halbleeren Flaschen. Ich goss ein bisschen von meinem Sekt in einen Plastikbecher, trank ihn in einem Zug aus und spürte, dass meine Nerven zu schmelzen anfingen. Ein Mädchen mit weißblonden, kurz geschnittenen Haaren nahm eine Weinflasche mit Schraubverschluss aus dem brummenden Kühlschrank und setzte sie an die Lippen. Ich beschloss, meinen Plastikbecher aufzugeben und meinen Rundgang durch das Haus mit der Sektflasche fortzusetzen. Hoffentlich würde niemand einen Schluck daraus trinken wollen: So etwas zu teilen war mir zuwider.
Eine halbe Stunde später, immer noch genauso weit davon entfernt, Biba zu finden, und scheinbar unsichtbar für die anderen Gäste, zog ich mich in einen Alkoven zurück und nuckelte am Rest Sekt in meiner Flasche. Die kleine Treppe mir gegenüber war noch gefährlicher als die letzte. Kerzen in Marmeladengläsern standen an der Vorderkante jeder Stufe, und die Flammen flackerten gefährlich nah am Rand. Nur ein Stoß von einem betrunkenen Schritt, dachte ich, als ich den blakenden Lichtschein sah, und wir alle gehen in Flammen auf. Ich ernannte mich zur Hüterin des Feuers. Wenn ich sonst nichts zu dieser Party beizutragen hatte, würde ich doch wenigstens dafür sorgen, dass auf dieser Treppe niemand zu Tode kam. Ich versuchte mir
Weitere Kostenlose Bücher