Das Gift des Sommers: Thriller (German Edition)
einzureden, es sei genug, auf einer solchen Party zu sein und zuzuschauen, selbst wenn man nicht richtig mitmachte und den Gastgebern nicht mal Hallo sagte. Aber es gelang mir weder, mich davon zu überzeugen, dass ich recht hatte, noch, mich aufzurappeln und auf Leute zuzugehen. Als es elf wurde, machte ich mir Vorwürfe, weil ich mich so jämmerlich aufführte, und zugleich versuchte ich, mich zu erinnern, wann die letzte U-Bahn nach Hause fuhr, als meine Retterin, das Birthday Girl persönlich, aus einer Tür kam, die ich nicht gesehen hatte, und mir die Arme entgegenstreckte.
» Schätzchen!«, hauchte sie, fasste meine Hände und zog mich aus meiner Zuflucht. Sie trug ein langes weißes Kleid und wieder diese furchtbaren klobigen Turnschuhe, und sie sah aus wie eine Braut, die von der eigenen Hochzeit weggelaufen war. » Du hast dich vor mir versteckt!«, schimpfte sie und strich mir eine Haarsträhne hinter das Ohr. » Komm nach oben, damit du alle kennenlernst.« Als sie sich umdrehte, sah ich, dass sie tatsächlich ein Brautkleid anhatte. Die schmutzige Schleppe schleifte gefährlich nah an den flackernden Flammen vorbei, und wie eine pflichtbewusste Brautjungfer raffte ich den staubigen Satin in meine Arme und brachte ihn vor dem Feuer in Sicherheit. Ihre Wirbelsäule zeichnete sich ab wie eine Perlenkette, die zwischen ihren Schulterblättern hing. » Herzlichen Glückwunsch«, sagte ich zu ihrem Rücken.
Das Zimmer, das wir durch die einzige Tür betraten, die ich noch nicht geöffnet hatte, erstreckte sich über die gesamte Länge und Breite des Hauses. Die hohen Fenster an der Vorderseite, die auf die Straße hinausblickten, waren mit rosafarbenem, orangegelbem und violettem Stoff verhängt. Saris, sagte Biba mir später, die sie in einem Wohltätigkeitsladen praktisch umsonst gekriegt hatte, nur für die Party. Sie sollten dort genauso lange bleiben wie ich und das Haus jeden Morgen mit den Farben des Sonnenuntergangs durchfluten. Am anderen Ende führten zwei große französische Fenster auf eine Steinveranda hinaus. In einem Baum dahinter funkelte ein Sternbild aus Feenlämpchen, die kein wirkliches Licht spendeten. Es war nicht zu erkennen, wo der Garten endete und der Wald begann. Umrahmt von den offenen Fenstern stand ein Junge in meinem Alter stirnrunzelnd hinter zwei Plattendecks, flankiert von Lautsprechern, so groß wie ein zehnjähriges Kind; der eine balancierte kipplig auf einer griechischen Urne. Mit der rechten Hand drückte er sich einen Kopfhörer ans Ohr, und die andere glitt über das Vinyl, geschmeidig und geschickt wie die Hand eines Töpfers an seiner Scheibe. Seine ruhige, intensive Konzentration stand im Gegensatz zu der wortlosen Musik, die aus den Lautsprechern pulsierte. Ich wusste nicht, wie man sie nannte, aber sie hatte einen chaotischen Drive. Simon, der jedes Lied ablehnte, das nicht in die Strophe-Refrain-Strophe-Refrain-Struktur passte, hätte gesagt, das sei keine » richtige Musik«. Das an sich war mir Ansporn genug zu versuchen, diese Musik zu verstehen. Die Lautstärke machte jeden Small Talk unmöglich.
Das Zimmer war voll von Leuten. Manche tanzten, manche saßen, andere standen herum und unterhielten sich. Ein oder zwei Gesichter kannte ich vom College, aber ihr ausdrucksloser Blick zeigte nicht, dass sie mich ebenfalls kannten. Eine dicke Frau mit lockigem Haar, die im Halbdunkel auf einem zerfransten, durchgesessenen Sofa in der Mitte des Zimmers lag, war die Einzige, die mein Lächeln erwiderte. Biba zog mich auf eine zwischen zwei Sesseln hingeworfene Bettdecke hinunter. Mitten darauf stand ein behelfsmäßiger Aschenbecher, der den Abend vielleicht als Schüssel mit Hummus begonnen hatte.
» Das ist Karen«, rief sie den anderen Gästen bei diesem seltsamen Picknick zu. » Der da auflegt, das ist Chris.« Sie winkte dem DJ zu, und der nickte zurück. Sie stellte mich Rachael vor, dem Mädchen, das ich in der Küche gesehen hatte, und einer Handvoll anderen Leuten, Theaterstudenten, deren Namen ich sofort wieder vergaß. Mir am nächsten waren Tris und Jo, ein Pärchen in identischen Batikhosen und mit blonden Dreadlocks, die sie sich wie einen Turban aus Stricken um den Kopf gewunden hatten.
» Schön, dich kennenzulernen«, sagte Jo und strich mir mit ihrer braunen, beringten Hand, die trocken und schwielig war, über die Wange. » Willst du ein paar Pilze?« Sie faltete ein Stück Alufolie auf ihrem Schoß auseinander. Ein brauner Klumpen von
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