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Das Gift des Sommers: Thriller (German Edition)

Das Gift des Sommers: Thriller (German Edition)

Titel: Das Gift des Sommers: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Erin Kelly
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gesagt, er sei vierundzwanzig– nur vier Jahre älter als ich. Wieso benahm er sich dann wie ein besorgter Vater?
    Um sechs war nur noch eine Handvoll Leute im Zimmer. Ich streckte mich auf einer Decke aus, und Gespräche wehten über meinen Kopf hinweg, als der Schlaf mich niederdrückte.
    Als ich um zehn mit trockenem Mund erwachte, hatte jemand mich mit einer Patchworkdecke zugedeckt, die nach kaltem Rauch stank. Der Geruch im Zimmer– Schweiß, Körper und Zigaretten– ließ mich würgen. Letzte Nacht war es mir nicht aufgefallen, aber jetzt war es ein Angriff auf meine Sinne. Ich hatte Gesellschaft unter meiner Decke: Biba, die schlafende Braut. Ihr Mund hing offen, und fauliger Atem wehte wie ein Zephyr unter meinen Nasenlöchern vorbei. Die blechernen Klänge einer billigen Stereoanlage und ein gelegentliches Stampfen drangen durch die Decke. Ich stellte mir Tris vor, wie er immer noch hellwach auf seinen unsichtbaren Bongos spielte, und war froh, dass ich die Pilze zurückgewiesen hatte. Ich nahm jetzt zurück, was ich zu Rex gesagt hatte: Jetzt, da die Nacht zu Ende war, wollte ich zu Hause sein, sauber und zwischen meinen eigenen Laken, wenn ich schon wach sein musste. Niemand war wach und hörte meinen Abschied.
    Die Mädchen, die man in den Kleidern vom vergangenen Abend sah, hatte ich immer beneidet und mich gefragt, was wohl ihre Geschichten sein würden, aber jetzt war ich eine von ihnen– ich war die mit der Geschichte, und ich wollte sie erzählen. Ich wollte den dösenden Mann wachschütteln, der mir mit der Plastiktüte aus dem Supermarkt gegenübersaß, und ihn fragen, ob er je eine Nacht wie die meine erlebt hätte. Ich begnügte mich damit, die Ereignisse im Geiste noch einmal ablaufen zu lassen: die Geräusche, die Empfindungen. Die Einzigen, denen ich nichts davon erzählen wollte, waren meine Mitbewohnerinnen. Sie würden das alles missbilligen und niemals verstehen. Ich hätte es selbst nicht verstanden, wenn ich nicht da gewesen wäre. Ich war erleichtert, als ich auf dem Küchentisch einen Zettel fand, auf dem stand, dass sie den ganzen Tag Tennis spielen würden. Sie waren mit Simon und seiner neuen Freundin zusammen, aber das bekam ich erst später heraus.
    Geduscht und minzfrisch lag ich zwischen den sauberen Laken in meinem Bett, aber ich konnte nicht schlafen. Ich schaltete mein Weckerradio ein und hörte die ersten Takte eines Hits, der schon ein paar Sommer alt war, aber nicht vergehen wollte. Eine Baritonstimme intonierte den Refrain– » Ein Mädchen wie dich hab ich noch nie gesehen«–, und nie hatte ein Liedtext so wahr geklungen. Mein letzter Gedanke, bevor ich schließlich eindämmerte, war der, dass ich endlich die Person kennengelernt hatte, von der alle diese Liebeslieder handelten. Und sie war ein Mädchen, ein verrücktes, wildes Mädchen, das mit seinem unheimlichen Bruder in einem dreckigen Haus wohnte. Und anscheinend konnte ich nichts daran machen. Oh, fuck.

SECHS
    U nser Cottage bezeichnet man als » Handwerkerhäuschen«, und das ist Maklerjargon für » winzig und schäbig«. Seine Größe reflektiert die Höhe der Hypothek, die eine freie Übersetzerin, selbst wenn sie gut ist, bekommen kann. Der gemauerte Kamin und die dicke Bleiverglasung der kleinen Fenster sollen einen Ausgleich für den Platzmangel bieten, aber wie klein es ist, wurde mir erst jetzt bewusst. Gemütlichkeit verwandelte sich in Enge, als Rex hereinkam. Ich hatte vergessen, wie groß er ist. In den letzten zehn Jahren habe ich ihn nur sitzend gesehen, und das noch dazu in einem fünf Meter hohen Saal. Er hat sich schon zweimal den Kopf an dem niedrigen Türrahmen zwischen Küche und Wohnzimmer gestoßen. Aber ich brauche ihn nicht daran zu erinnern, sich zu bücken. Seine Haltung hat sich verändert; er sieht immer aus, als sei er kurz davor, sich zu ducken. Aber selbst wenn er in einem anderen Zimmer ist, füllt er das Haus aus. Seine schlurfenden Schritte sind schwerer als Alices, und sie verraten mir, wo er ist, wenn er oben ist. Die Muschellampe an der Wohnzimmerdecke zittert bei seinen Schritten, und die Muschelschalen machen ein spröde klingelndes Geräusch, das ich jetzt als sanfte Ablenkung empfinde– ein sicheres Zeichen dafür, dass es mich in zwei Wochen wahnsinnig machen wird.
    Solange ich das Wohnzimmer für mich allein habe, schalte ich den Fernseher ein. Halb rechne ich damit, auf dem Vierundzwanzig-Stunden-Nachrichtensender zu sehen, wie er das Gefängnis verlässt, und

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