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Das Gift des Sommers: Thriller (German Edition)

Das Gift des Sommers: Thriller (German Edition)

Titel: Das Gift des Sommers: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Erin Kelly
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immer schon mehr miteinander gemeinsam gehabt als mit mir, aber das Gefühl, außerhalb eines Kreises zu stehen, war mir neu und unwillkommen.
    Ich verbrachte die Tage in der Bibliothek– nicht weil ich lernen musste, sondern um aus dem Haus zu kommen und die Chance zu vergrößern, dass ich Biba noch einmal über den Weg lief. Ich nahm sogar überall die Treppe, denn ich erinnerte mich an ihre Abneigung gegen Aufzüge. Die Bibliothek von Queen Charlotte’s war ein viereckiger Block, der neben dem Gebäude der Geisteswissenschaften hockte. Selbst mitten im Winter war es dort stickig, aber jetzt entwickelte der Bau ein tropisches Mikroklima ganz für sich. Die großen Panoramafenster in der Sprachenabteilung ließen sich nur ein paar Zollbreit öffnen, angeblich um studentische Selbstmorde in dieser Zeit zu verhindern. Die Deckenventilatoren drehten sich langsam und trugen nur wenig dazu bei, die Hitze zu lindern, aber sie wirbelten reichlich Staub auf, der hochstieg und in den Sonnenstrahlen kreiste, die die Lücken zwischen den Regalen ausbleichten. Ich schrieb meinen Mangel an Konzentration der Hitze zu, die meine Haut feucht und Mund und Augen trocken machte; aber nicht das Bedürfnis nach frischer Luft trieb mich zwei- oder dreimal täglich in die theaterwissenschaftliche Abteilung. In Bibas Fach schaute ich öfter als in mein eigenes, doch jeden Tag steckte ein neuer Umschlag oder Flyer in dem kleinen hölzernen Hohlraum. Dass wir drei Jahre lang im selben Gebäude gewesen waren, ohne uns zu begegnen, verringerte meine Enttäuschung nicht, wenn sie nicht da war.
    Das Wochenende verbrachte ich in Brentford; ich peinigte Teenager mit Nachhilfestunden und mich selbst mit Visionen von Biba, die ungeduldig in der Sprachenabteilung saß und auf mich wartete. Am Montag sah ich meine schlimmsten Befürchtungen bestätigt: Ihr Fach war geleert worden, aber in meinem war keine Nachricht.
    Wenn sie nicht zu mir kommen wollte, würde ich sie suchen gehen. Ich ging zu Fuß die Meile vom College über die Euston Road zur Warren Street und hoffte, dass ich von der frischen Luft und der Bewegung einen klaren Kopf bekommen würde. In beiden Punkten sah ich mich getäuscht: Die Luft war dick und grau von sonnendurchglühten Auspuffgasen, und vom Gehen kam ich so sehr ins Schwitzen, dass der Smog an meiner Haut kleben blieb. Ich tauchte in die U-Bahn ab und fuhr wie in einem Brutkasten hinauf nach Highgate.
    Die frühabendliche Musik der Queenswood Lane wirkte beruhigend und abkühlend nach dieser Fahrt. Häusliche Geräusche begleitet von Laubgeraschel. Das Klirren von Besteck, das Klingen von Eiswürfeln, ein paar Takte klassische Musik, die durch ein hohes Erkerfenster wehten– das alles klang wie die sorgfältig orchestrierte Hintergrundatmosphäre in einem Hörspiel, wenn der Regisseur die wohlhabende obere Mittelklasse in ihrer Mußezeit hörbar machen will. Als ich den Weg zu der steinernen Treppe, den ich in der vergangenen Woche gegangen war, jetzt wiederholte, spürte ich auch das Echo der Nervosität, die ich dabei empfunden hatte. Aber diesmal war es anders. Beim letzten Mal war ich nervös gewesen, weil Bibas Welt eine unbekannte Größe gewesen war. Jetzt war mir bange, weil ich wusste, wie sehr ich mir wünschte, ein Teil davon zu sein.
    Die Haustür stand einen Spaltbreit offen, und das ließ mich mehr zögern, als ich es getan hätte, wenn sie geschlossen gewesen wäre. » Komm rein!«, ertönte irgendwo gedämpft in den Fundamenten des Hauses, bevor ich Gelegenheit hatte zu klopfen. Ich stieß die Tür ganz auf und achtete darauf, dass ich sie wieder genau so anlehnte, wie sie es vorher gewesen war. » Hier unten!«, sang eine Frauenstimme, die nicht Biba gehörte. Ich folgte ihr und dem Knistern und Rauschen eines Radios über eine schmale, ausgetretene Treppe hinunter in eine große, schäbige Kellerküche, die so geräumig und betriebsam war, wie die kleine Kombüse im ersten Stock eng und kahl gewesen war, aber beide waren in gleicher Weise verlottert. Kinderzeichnungen waren an die schmutzig weiß gekälkten Wände gepinnt, und ein Wirrwarr von Küchengeräten und Utensilien erfüllte jede verfügbare Fläche. In der Mitte, wie ein Podest, stand ein verschrammter Tisch, der vielleicht aus Kiefern- oder Lärchenholz war, aber inzwischen alle Farbe verloren hatte. Eine Frau– ich vermutete, dass es die dicke Frau von der Party war– saß am Kopfende und hatte die Finger in einer Rührschüssel. Sie war

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