Das Gift des Sommers: Thriller (German Edition)
diskret ein langes, gelocktes Haar von einer halbmondförmigen Tomatenscheibe.
» Wie kommt es, dass du und Tris hier wohnt?«, fragte ich Jo. Ich wollte unbedingt wissen, wie diese komische kleine Familie zusammengefunden hatte.
» Wir haben Biba im Wald kennengelernt«, antwortete Jo, den Mund voll Brot. » Genau genommen hat es mit einem Streit angefangen. Wir sind Naturschutzhelfer, das heißt, wir helfen mit, den Dreck aus dem Wald zu schaffen, das Unterholz zu pflegen und all das. Wir sind sehr für ›Zero Trace‹– das ist eine Bewegung von Kletterern, Wanderern, Bergsteigern, Leuten, die sich in der Natur aufhalten. Kennst du das?«
Tris nahm den Faden auf.
» Es bedeutet, dass du keine Spuren hinterlässt. Du lässt nichts zurück, wenn du dich in der Natur bewegst. Wir praktizieren das allerdings auch in der bebauten Umwelt.« Er beugte sich vor, und eine Locke sprang aus dem Knoten auf seinem Kopf und schwang neben seinem Gesicht hin und her. » Selbstverständlich darfst du keinen Müll hinterlassen, aber eben auch sonst nichts, was die Biodiversität einer speziellen Umgebung stören könnte. Nicht mal einen Kern aus einem Apfel eigentlich. Und als wir sahen, dass Miss Capel ihre Zigarettenkippen auf dem Boden liegen ließ, da mussten wir ihr natürlich einen Vortrag halten…«
Biba stöhnte und legte in gespielter Beschämung die Hände vor das Gesicht.
» …und, kurz gesagt, sie kriegte ein so schlechtes Gewissen, dass sie uns anbot, hier einzuziehen«, endete Jo.
Ohne feierliche Umstände wurde das Hauptgericht auf den Tisch gestellt, eine schwere Spinatmischung zwischen Schichten von Filoteig. Ich brauchte nur einmal hinzuschauen, um zu wissen, dass es noch nicht gar war. » Was ist das für eine kulinarische Köstlichkeit?«, fragte Tris.
Ich antwortete anstelle von Nina. » Spanakopita. Das ist Griechisch.«
» Bravo«, sagte Nina und wandte sich an die anderen. » Sie ist eine Reisende, genau wie ich.«
Jo verzog das Gesicht. » Ist aber ein bisschen roh.«
» Und ein bisschen salzig«, sagte Biba.
» Leckt mich«, sagte Nina zärtlich und zum großen Entzücken ihrer Kinder.
Wir alle blieben sitzen, und Rex lief herum und besorgte Gläser für den Wein. Als mir eingeschenkt worden war, schäumte ein Rest Spülwasser oben auf dem Wein, und als ich das Glas umdrehte, um von der anderen Seite zu trinken, sah ich, dass vom Rand ein kleines Stück abgesplittert war. Ich betastete die Stelle behutsam mit der Zungenspitze und stellte fest, dass sie glatt genug abgenutzt war, um daraus zu trinken. Meine Mutter hätte diesen Makel, der für ein Glas das Ende seiner Karriere bedeutete, schon entdeckt, als er noch ein für die meisten bloßen Augen unsichtbarer Riss war, und sie hätte es sofort weggeworfen. Ich bemühte mich, ihre Stimme zu überhören, die mir einen Vortrag über die in solchen Rissen verborgenen Bakterien hielt, und ließ meine Brotkrümel zu dem Pulver fallen, das sich in den Ritzen und Spalten der Tischplatte festgesetzt hatte. Als die Mahlzeit längst vorbei war, fand sich da immer noch eine Menge Essbares.
» Wir hauen aber bald ab«, sagte Jo zu mir. Niemand sonst blickte auf, und daraus schloss ich, dass die Neuigkeit von ihrem bevorstehenden Auszug dem restlichen Haushalt bereits bekannt war. » Die meisten von unserer Truppe sind den Sommer über auf Reisen, und Tris und ich werden bei einem Freund von ihm in Devon arbeiten. Ein Kumpel von uns hat da eine kleine Landwirtschaft gekauft, und er will so was wie eine Kommune gründen, ein Experiment, um festzustellen, ob wir vom Land leben können. Es hat wenig Sinn, den Sommer über in London zu bleiben, oder? Der ganze Mist hier in der Luft. Smog. Versaut einem die Lunge.« Den letzten Satz unterstrich sie mit einem tiefen Zug an ihrer selbst gedrehten Zigarette. Wenn Biba das getan hätte, wäre es mit der augenzwinkernden Kenntnisnahme der Diskrepanz zwischen Worten und Taten geschehen, aber diese Ironie war nichts für die aufrichtige, ernsthafte Jo. » Wir werden in einer Jurte wohnen«, sagte sie. » Das ist so was wie ein türkisches Zelt, im Grunde genauso gut wie ein Haus. Da werden viele von uns sein. Du solltest auch kommen!«
Ich war verblüfft über diese Einladung, aber ich zweifelte nicht an ihrer Aufrichtigkeit. Ich glaube nicht, dass Jo meine Zurückhaltung für Zustimmung gehalten oder dass sie in mir eine eng verwandte Seele gesehen hatte. Sie war nur einer dieser seltenen Menschen, die jeden
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