Das Gift des Sommers: Thriller (German Edition)
jetzt nicht ein. Es fällt auf, weil es so sauber und so klein ist. Ein weißer Nissan Micra, vor allem ein so sauberer, ist kein Auto, wie es die Leute in dieser Gegend fahren, wo man meilenweit fahren kann, ohne eine Ampel zu sehen, und wo die Gefahren in Haarnadelkurven bestehen, in Schlamm und Überschwemmungen und langsam fahrenden Lastwagen, die lose Zwiebeln auf die Windschutzscheibe ahnungsloser Autofahrer prasseln lassen. Dieses kleine, kastenförmige Auto gehört jemandem, der in der Stadt fährt und dem Parkplätze und sparsamer Verbrauch wichtiger sind als Pferdestärken und Bodenhaftung. Ich glaube, die Person auf dem Fahrersitz ist eine Frau, aber sicher bin ich nicht. Ich weiß dagegen, dass die Silhouette schreibt. Sie hält den Kopf konzentriert gesenkt, und manchmal sehe ich ein Clipboard oder einen Aktenordner, der auf dem Lenkrad liegt, während da geschrieben wird. Wenn das nicht beweist, dass es eine Journalistin ist, was bedeutet es dann? Die Person parkt jedes Mal an einer etwas anderen Stelle, aber das kann niemanden täuschen. Auf dem Land weist ein neues Auto so zuverlässig auf einen Außenseiter hin wie ein Fremder, der in den dörflichen Pub kommt und die Gespräche an allen Tischen verstummen lässt. Die Schlussfolgerung ist unausweichlich: Rex wird beobachtet. Wir werden beobachtet. Was hat Biba noch gesagt, um Guy zu ärgern, als er einmal zu viel geraucht hatte und sicher war, dass das Rauschgiftdezernat Kameras im Wald aufgestellt hatte? » Dass du paranoid bist, heißt noch lange nicht, dass sie nicht hinter dir her sind.«
Es klingt blöd, aber manchmal vergeht ein ganzer Tag, an dem ich vergesse, dass Rex ein überführter Mörder ist. Männer wie er haben fast immer jemanden in ihrem Kielwasser, der Rache für einen Toten nehmen will, und Rex kann gleich zwei beanspruchen. Der Radius der Verwüstung reicht weiter, als wir sehen können. Ich kann nur die mir bekannten Hinterbliebenen heraufbeschwören. Einen Moment lang denke ich an die Kinder und versuche auszurechnen, wie alt sie jetzt sind. Was hat man ihnen erzählt? Wissen sie alles, oder geht es ihnen wie Alice, und man hat ihnen die Einzelheiten tröpfchenweise verabreicht, bis man sie für alt genug hält, um die ganze Geschichte zu erfahren? Sie werden noch nicht unabhängig genug sein, um wirklich Rache zu suchen, und sie sind auch noch nicht alt genug zum Autofahren. Aber es muss noch andere geben, die von den Todesfällen betroffen sind, andere, deren Identität wir nicht einmal erahnen können. Oder ist unser Beobachter jemand, den er im Gefängnis kennengelernt hat? Ich kann mir nicht vorstellen, dass Rex absichtlich jemandem zu nahe tritt, aber ich weiß aus Kino und Fernsehen, dass im Gefängnis jeder eine Position beziehen muss, und oft sind es die schwächsten und passivsten Insassen, die sich unabsichtlich den falschen Beschützer auswählen. Ich habe Alice immer von Filmen ferngehalten, die vom Gefängnisleben handelten, und jetzt frage ich mich, ob ich sie selbst vielleicht auch hätte meiden sollen.
Vielleicht ist uns jemand vom Gefängnis nach Hause gefolgt. Vielleicht gibt es Leute, die genau das tun, die am Tor lauern und den Haftentlassenen in ihr neues Leben folgen und auf den richtigen Augenblick warten, um sie zu erpressen. Wer würde uns erpressen? Wir haben nichts zu geben. Auf dem Haus lastet immer noch eine hohe Hypothek, und im Gegensatz zu den näher am Meer gelegenen Nachbarorten ist dieser Teil von Suffolk nicht so trendy, dass ich hier auf einem besonders wertvollen Objekt sitze. Wenn es also nicht um Erpressung geht, dann droht uns vielleicht Gewalt. Ich weiß, dass ich das nicht ertragen könnte. Man kann zwar nicht sagen, dass ich mein Leben lang Gewalt gesehen habe, aber es stimmt doch, dass ich für mein ganzes Leben genug Gewalt gesehen habe. Ich war vor Brutalität geschützt, und bis zu jenem Abend habe ich niemals Blut gesehen, das nicht mein eigenes war.
Rex zu fragen, ob es jemanden gibt, der einen Groll gegen ihn hegt, ist nicht das, was ich gern tun möchte, aber ich bin doch alles andere als erleichtert, als Alice es mir abnimmt.
» Werden wir welche von deinen Freunden aus dem Gefängnis kennenlernen?«, fragt sie eines Abends beim Essen. Sie hat ihre Stampfkartoffel zu einem kleinen Kuchen geformt und macht jetzt mit ihrer Gabel ein Federmuster hinein. Es ist der Versuch, entspannt und desinteressiert auszusehen, aber ich weiß, dass sie nur dann den Appetit verliert und
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