Das Gift des Sommers: Thriller (German Edition)
Dunkelkammer«, hieß es da, und in einer kleineren Type: » Die Wiederkunft des Roger Capel.« Biba gab ein Schniefen von sich, wie ein Hund, der Angst hat. Raschelnd blätterte sie die Seiten um, bis sie die Titelgeschichte gefunden hatte. Sie strich das Papier immer wieder glatt und bearbeitete es mit den Händen, als könne sie einen Sinn hineinbringen, indem sie es bügelte. Mein Blick pendelte zwischen den Bewegungen ihrer Finger hin und her, und ich versuchte, das Puzzle zusammenzufügen. Reihen von Fotos flankierten die Druckspalten.
Eins war das befangene Selbstporträt eines rundgesichtigen Jünglings im Polohemd, die Zigarette in der einen Hand, den Drahtauslöser in der anderen. Ein zweites, viel später aufgenommen, zeigte ihn vor einer Ausstellung unter seinem Namen in der National Portrait Gallery. Auf dem neuesten Foto stand er Schulter an Schulter mit einem grinsenden Tony Blair und mit einem Champagnerglas in der Hand. Dichte schwarze Augenbrauen identifizierten die unscharfe Gestalt hinter den beiden als Noel Gallagher.
Wenn die erste Seite ein Fotoalbum aus dem beruflichen Leben war, enthielt die nächste lauter private Porträts. Roger Capel und die blonde Frau posierten, umgeben von einer Brut hellhaariger Kinder, irgendwo in einem belaubten Garten mit einem privaten Swimmingpool. Das Tableau war ein in herzzerreißender Weise aufgemotztes Hochglanz-Upgrade des Fotos, das ich in Rex’ Zimmer gefunden hatte: das mit seiner ersten Familie im Planschbecken.
» Fuck, was ist das?«, fragte sie. Rex hatte sich unbemerkt zu uns auf die Bank gesetzt, und alle drei ließen wir den Blick stumm über die Seiten wandern. Ich klammerte mich an dem massiven Teakholztisch fest, und was die beiden empfanden, konnte ich nicht annähernd vermuten. Ich kostete nur von einer verdünnten Version ihres Cocktails aus erahnter Trauer, Hoffnung und Verwirrung. Biba zitterte schweigend neben mir. Ich wollte sie umarmen und ihnen zu dieser erstaunlichen Neuigkeit gratulieren, aber ich wusste, es war besser, ihre Reaktionen abzuwarten. Bis sie etwas sagten, konnte ich nur weiterlesen.
Der Interviewer hatte großes Gewicht auf die Tatsache gelegt, dass Roger Capels Privatleben wie auch seine Karriere neuen Aufschwung bekommen hatte. Eine Bildunterschrift identifizierte die blonde Frau als seine zweite Ehefrau und Muse, Jules Millar. Als das Gesicht einen Namen bekommen hatte, ging mir ein Licht auf: Sie war ein Model aus einer großen Kosmetikkampagne meiner Teenagerzeit. Inzwischen hatte Jules sich offenbar in eine professionelle Mutter verwandelt, die Bücher über Kinderernährung und kreatives Spielen verfasste. Beim Lesen zwischen den Zeilen kam ich zu der Vermutung, dass Roger Capel mit diesem Interview nicht nur seine eigene, gut etablierte, sondern auch ihre neue Karriere promoten wollte. Die Kinder auf dem Foto sahen prachtvoll aus: Sie waren die golden leuchtende, idealisierte Darstellung einer Mittelschichtkindheit. Mit ihren Halbgeschwistern hatten sie nicht die geringste Ähnlichkeit. Seine erste Familie wurde mit zwei Zeilen in der Mitte des Artikels abgetan, aus denen unausgesprochen hervorging, die späten Siebziger- und frühen Achtzigerjahre seien so etwas wie eine private und professionelle Wüste gewesen. Der Autor sprach lediglich von einem » verlorenen Wochenende, das zwei Jahrzehnte gedauert hat«. Sheila Capel bezeichnete er zusammenfassend als » seine letzte Ehefrau, das unglückliche Model, mit der er zwei Kinder hatte«. Der Gebrauch der Vergangenheitsform schmerzte wie ein Wespenstich, ebenso wie das Zitat, das fett gedruckt über der Seite stand.
» Ich habe eine zweite Chance bekommen, beruflich wie privat«, stand da. » Dies ist mein neues Jahr Zero. Wichtig ist nur noch das Hier und Jetzt.« Biba blätterte eine Seite zurück und schüttelte den Kopf. Der Damm brach endlich, und die Tränen überfluteten ihr Gesicht. Sie tropften auf das Papier und ließen es durchscheinend werden, sodass das Bild auf der anderen Seite, das Foto ihrer Mutter, hervorschimmerte wie ein Geist. Rex legte schützend den Arm um seine Schwester und betupfte die Zeitung mit einer Serviette.
» Lass es gut sein, B«, sagte er. » Er ist ein Arschloch.«
» Fuck … Das lasse ich nicht durchgehen. Das darf er nicht. Wir waren zuerst da.« Ihre Stimme hob sich in einem schrillen Crescendo. Sie schob den Tisch zur Seite, dass er mir gegen die Rippen stieß, und sah sich wild im Pub um, als suche sie den
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