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Das Gift des Sommers: Thriller (German Edition)

Das Gift des Sommers: Thriller (German Edition)

Titel: Das Gift des Sommers: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Erin Kelly
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und ich suchte das Laub nach einem neuen Thema ab. Links neben Rex wuchs ein dicker Baum, in dessen Rinde unentzifferbare Initialen eingeschnitzt waren, gut einen halben Meter hoch über unseren Köpfen.
    » Sieh dir das an.« Ich zeigte mit dem Finger darauf.
    » Ah, die mächtige Eiche«, sagte er. » Erkennst du sie nicht an den Blättern? Die Eiche hat etwas, das dich interessieren wird, wenn du es nicht schon weißt…«
    » Wer bist du denn… David Attenborough?«, unterbrach Biba ihn. » Halt die Klappe, Rex. Karen ist nur höflich. Sie will dein Naturgefasel nicht hören.«
    Sein Gesicht nahm den Ausdruck an, der für ihn Ruhe bedeutete. Es war ein Ausdruck der mürrischen Unterwerfung gegenüber seiner Schwester.
    » Hör mich ab, Karen«, sagte Biba, als wir zwischen den Bäumen hervorkamen und einen steilen, sonnengebleichten Hang hinaufstiegen. Sie fing an, ihr deutsches Lied zu singen, so laut, dass Passanten stehen blieben und sie anstarrten. Ich brauchte sie nicht mehr zu korrigieren: Sie beherrschte den Text tadellos, die Tonlage allerdings nicht so ganz. Sie hatte die Stimme um eine Oktave gesenkt, um den Marlene-Dietrich-Sound zu erzielen, den das Lied nach ihrem Gefühl verdiente. Ich fragte mich, wie ihre Lunge, die ich mir so groß wie die eines Kindes vorstellte, solchen Lärm hervorbringen konnte.
    Oben auf der Höhe blieben wir stehen und schauten hinüber zu den Hügeln von Crystal Palace hinter den Dunstschleiern über dem Fluss. Unter uns kauerte sich die Stadt in eine riesige, natürliche Mulde. Heute muss das Millennium Wheel, das gewaltige Riesenrad, diesen Blick auf die Stadt beherrschen, aber 1997 existierte es noch nicht. Die Türme von Canary Wharf ragten an der linken Peripherie auf, aber damals dominierten Centrepoint und der Post Office Tower die Stadtsilhouette.
    » Sieh mal«, sagte Biba und deutete auf einen niedrigen Klotz, der am Rocksaum des höchsten Turms zupfte. Ich schmiegte die Wange an ihre, spähte an ihrem ausgestreckten Finger entlang und erkannte die prosaischen Gebäude des Queen Charlotte’s College. Biba packte meine Hand. » Da haben wir uns kennengelernt.«
    Die engen Straßen waren verstopft und beklemmend nach der luftigen Weite der Heide, und der frische, reinigende Sonnenschein, in dem ich auf der Höhe gebadet hatte, drang jetzt durch ein tief hängendes Leichentuch, mischte sich mit den anderen Schadstoffen und verwandelte die Luft in Leim. Der Geruch von frisch gebackenem Brot und brutzelndem Knoblauch wehte aus den Snackbars und Bäckereien, die sich zwischen die Boutiquen von Hampstead drängten, aber ich schmeckte auch Benzin und Diesel in der Luft. Zwei Frauen schoben ihre Kinderwagen nebeneinander über den Gehweg, sodass wir drei im Gänsemarsch durch die Gosse laufen mussten. Ihre Männer, die fünf Schritte hinter ihnen gingen, zogen schmerzlich berührt und um Nachsicht bittend die Köpfe zwischen die Schultern. Der schäbige Pub, bei dem Biba haltmachte, war nach unserer Wanderung ein enttäuschendes Ziel.
    » Da wären wir!«, sagte sie mit einer schwungvollen Handbewegung und einer Verbeugung. Die Keramikkacheln an der unteren Hälfte des Gebäudes hatten ihre Glasur verloren. Am oberen Stockwerk baumelte zwar kein Schild, aber der Name » The Magdala« prangte in hohen schwarzen Lettern über der Tür. Dutzende von Gästen drängten sich in dem winzigen Biergarten, und zwei rebellische Typen waren mit ihren Pintgläsern auf die andere Straßenseite gegangen und hatten sich dort unter den Bäumen niedergelassen.
    » O Gott, nicht hier hinein«, stöhnte Rex, aber er folgte ihr. Im Inneren des Pubs war es so dunkel und leer, wie es draußen voll und hell war. Zwei Räume teilten sich den Tresen in der Mitte, aber sie waren leer bis auf einen alten Mann in Hut und Mantel, der ein trübes braunes Bier vor sich stehen hatte. Große, quadratisch gemusterte bleiverglaste Fenster mit vereinzelt leuchtenden bunten Scheiben filterten das Tageslicht und verbreiteten eine gespenstische Düsternis, die nicht zu dem grellen Sonnenschein passte, aus dem wir eben gekommen waren. Biba kippte auf eine Holzbank, und ich ließ mich neben ihr auf einen Stuhl sinken. Die Erleichterung darüber, meine Füße von der Last zu befreien, verschwand sofort hinter meinem Durst.
    » Rex, bring mir was zu trinken«, befahl Biba, bevor er Zeit hatte, sich hinzusetzen.
    » Ja. Sorry.« Er wieselte zur Bar wie ein Butler kurz vor der Pensionierung. Nach weniger als einer

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