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Das giftige Herz

Das giftige Herz

Titel: Das giftige Herz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Virginia Doyle
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übergehenden Gebäuden, durch die man in den ehemaligen Schuldturm gelangen konnte.
    Inspektor Wanner betätigte den Klopfer an der niedrigen Tür und trat beiseite. Jemand sah durch das vergitterte Guckloch und fragte: »Ja bitte?«
    »Polizei, aufmachen!«, kommandierte Wanner.
    »Oh, oh«, sagte die Stimme hinter der Tür.
    Es dauerte eine Weile, bis die Tür geöffnet wurde. Man hörte ein Schaben und Rumpeln, als würde jemand etwas beiseite schieben.
    Dann stand ein kleiner Mann mit Hakennase und Zipfelmütze vor ihnen. Er trug einen Hausmantel, auf dem Wanner zu seinem großen Erstaunen ein wirres Muster aus Feuer speienden Drachen ausmachte. Der Mann hielt einen Leuchter mit zwei brennenden Kerzen in der Hand.
    »Was wünschen die Herren?«, fragte der kleine Mann.
    »Wer sind Sie?«, fragte Inspektor Wanner.
    »Gestatten, mein Name ist Bartholomäus Wetzel.« Er verbeugte sich. »Was verschafft mir die Ehre Ihres Besuchs?«
    »Sie wohnen hier?«
    »Aber ja, natürlich. Die Brücke ist mein«, antwortete Wetzel stolz. »Von hier aus betreibe ich meine Geschäfte.«
    »Dürfen wir eintreten?« So wie Wanner es sagte, klang es wie ein Befehl.
    »Selbstverständlich, mit wem habe ich denn die Ehre …?«
    »Inspektor Wanner, Kriminalpolizei.«
    Wetzel sah ihn irritiert an.
    »Und das ist Doktor Seidel, der Gerichtsmediziner.«
    »Ein Arzt?«, sagte Wetzel ratlos. Er trat beiseite, damit die Männer hereinkommen konnten. Sie mussten sich ducken, um durch die niedrige Tür gehen zu können. Wanner wies den einen Wachtmeister an, vor der Tür Posten zu beziehen, den anderen forderte er auf, mitzukommen.
    Das kleine Haus war voll gestellt mit Gerümpel, das zum Teil orientalischen Ursprungs zu sein schien: Kissen, Hocker, Kommoden, Tischchen, Figuren von Elefanten, Affen, Tigern und Papageien, teilweise aus Elfenbein geschnitzt, teilweise in Holz gearbeitet, Götterfiguren aus Asien, Masken aus Afrika – alles stand und lag herum, eine Ordnung schien es nicht zu geben.
    Durch eine offen stehende Tür gelangten sie in einen zweiten Raum, der mit einem Sofa, einer Chaiselongue, zwei Tischen, drei Sesseln und mehreren Vitrinen, in denen Porzellanfiguren standen, voll gestellt war. Auf dem Boden lagen dicke Teppiche, das grobe Mauerwerk wurde größtenteils durch Gobelins mit chinesischen Landschaftsmotiven verhängt. In einer Ecke stand ein kleiner runder Ofen. Es war heiß hier drin. Wanner knöpfte sich den Mantel auf und merkte, dass schmelzende Schneestücke von seinen Schultern auf den Teppich fielen. Den Hut hatte er schon beim Eintreten abgezogen.
    Wetzel blieb ratlos in seinem engen Zimmer stehen: »Was?«
    »Geht es da noch weiter?«, fragte Wanner barsch und deutete auf die Tür an der anderen Seite des Raums.
    »Ja, mein Lager …«
    »Aufmachen!«
    »Aber meine Herren«, sagte der Händler hilflos, »ich wüsste gerne …«
    »Los, los!«, kommandierte Wanner.
    Wetzel zuckte mit den Schultern und fügte sich in sein Schicksal.
    Im angrenzenden Lagerraum war es kalt. Kisten und Kästen, Säcke und Säckchen, Schachteln und Schatullen, Flaschen und Porzellangefäße jeder Größe und Form lagen und standen auf roh gezimmerten Regalen oder auf dem Boden. Im flackernden Schein der Kerzen war allerdings nur wenig Konkretes zu erkennen.
    »Haben Sie kein Gaslicht?«, fragte Wanner.
    »Aber nein«, sagte Wetzel. »Hier auf der Brücke …?«
    »Womit handeln Sie?«, fragte Dr. Seidel.
    »Mit Gewürzen«, sagte der Kaufmann kleinlaut. Er blickte jetzt sehr ängstlich drein und zuckte merklich zusammen, als Wanner ihn wieder im Kommandoton aufforderte, die Luke in der Mitte des Raums zu öffnen.
    »Aber da geht es direkt zum Fluss.«
    »Ja, drum«, sagte Wanner.
    Wetzel stellte den Kerzenleuchter auf den Boden, ging zu der von einer fensterlosen Holztür verrammelten Luke, schob einen Riegel zurück und zog die Tür auf. Augenblicklich tänzelten Schneeflocken herein. Die Kerzen flackerten im kalten Luftzug.
    »Beiseite treten!«, sagte Wanner.
    Der Händler machte ihm Platz. Wanner trat zur Luke, beugte sich hinaus und stellte erleichtert fest, dass die Leiche dort unten noch immer ganz leicht hin- und herpendelte. Er griff nach dem Ende des Seils, das über einen Seilzug lief. Wanner winkte den Wachtmeister herbei und befahl ihm, den Seilzug zu betätigen. Es quietschte erbärmlich, während die Leiche langsam nach oben schwebte. Als sie in der Maueröffnung auftauchte, packten Wanner und der Wachtmeister zu

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