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Das giftige Herz

Das giftige Herz

Titel: Das giftige Herz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Virginia Doyle
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Franzose da eine Ausnahme machen? Vernünftigere gaben allerdings zu bedenken, dass Frau Dunkel alles andere als eine gute Partie war, sie war zu alt, nie eine Schönheit gewesen und verfügte noch nicht mal über Vermögen. Trotzdem hatte eines Nachts ein Unbekannter, der ein paar Gläser Bier zu viel getrunken hatte, unter einem Fenster des Dunkel’schen Hauses gestanden und ein bekanntes Lied mit abgewandeltem Text gegrölt.
     
    Es war einmal ein böser Husar,
    Der liebte eine alte Mar.
    Die alte Mar tat Gift ins Brot,
    Und morgen ist ihr Mann schon tot.
     
    Pistoux tat so, als würde ihn dies alles nichts angehen, und ging seiner Arbeit nach. Immerhin gab es noch einige treue Kunden, die auch weiterhin Waren aus der Bäckerei Dunkel bezogen. Pistoux hatte inzwischen genug gelernt, um die Dunkel’schen Spezialitäten originalgetreu backen zu können. Die Bäckersfrau half ihm dabei, und neuerdings hatten sie sogar einen Lehrling: Der Junge mit dem verstauchten Fuß schien großen Spaß an der Arbeit in der Backstube zu haben. Zwar war er immer noch nicht bereit, seinen Namen zu nennen, aber er hatte von sich aus vorgeschlagen, dass er mithelfen könnte. Daraufhin hatte Frau Dunkel ihn in eine Zinkwanne mit heißem Wasser gesetzt und trotz lautstarker Proteste mit Bürste und Seife abgeschrubbt. Und nun half er jeden Tag schon ab der frühesten Stunde beim Herstellen von Broten und bekam glänzende Augen, wenn Pistoux ihm versprach, dass er, wenn das Brot fertig war, beim Plätzchenbacken mithelfen durfte. Am liebsten bereitete »der Junge«, wie Frau Dunkel und Pistoux ihn einfach nannten, Spritzgebäck und Schokoladenbrezeln zu, denn dabei war Fingerspitzengefühl vonnöten, und er freute sich jedes Mal, wenn er beim Spritzgebäck eine neue Form gefunden hatte, die Pistoux’ Anerkennung fand. Aber am liebsten aß er die Orangen- und Rosinenplätzchen. Die musste Frau Dunkel sofort, nachdem sie aus dem Ofen gekommen waren, in Sicherheit bringen, sonst hätte er sich eine Magenverstimmung geholt. Der Junge schien fröhlich zu sein. Aber verstockt war er schon, denn über seine Herkunft wollte er nichts sagen. Und sein Fuß wurde nicht besser, deshalb konnte er sich nur am Tisch sitzend nützlich machen, für das Ausfahren der Ware war er nicht zu gebrauchen. Aber, so dachte Pistoux, wahrscheinlich wäre er auch sofort wieder ausgebüxt. Für Frau Dunkel war die Anwesenheit des Jungen ein Trost in schwerer Zeit. Sie, die nie eigene Kinder gehabt hatte, entdeckte ihre mütterlichen Gefühle und stellte sogar einen Adventskranz in der Backstube auf. Dann sang sie mit dem Jungen weihnachtliche Lieder – und brach mitunter plötzlich ab und begann zu weinen, weil sie an ihren Mann denken musste.
    »Ich bete jeden Abend, dass Friedrich uns wiedergegeben wird, wenn alle Kerzen brennen«, sagte Frau Dunkel. »Ich kann doch nicht Weihnachten feiern ohne ihn, das kann ich doch nicht.« Und wieder fing sie an zu schluchzen.
    Pistoux erreichte den Hauptmarkt. Die Buden des Christkindlesmarkts waren so früh am Tag noch nicht geöffnet. Aber hier und da waren Budenbesitzer schon dabei, die nötigen Vorbereitungen zu treffen. Holzkohle wurde angezündet, damit später die kleinen Bratwürstchen geröstet werden könnten. Gasbetriebene Rechauds wurden in Betrieb genommen, um den Glühwein zu erhitzen. Auch die Maroniverkäufer bezogen schon Posten und entfachten das Feuer in ihren Blechkübeln, auf denen sie dann die Esskastanien rösten würden.
    Pistoux zog seinen Wagen unter einem mächtigen Adventskranz hindurch, der am Ende der Gasse sozusagen als Vorankündigung des weihnachtlichen Marktes zwischen den Häusern hing. In der Mitte des Christkindlesmarktes ragte ein hoher, geschmückter Tannenbaum auf, darum herum standen die aus Holz gezimmerten Buden. Den Rand des Marktes säumten seltsame Gebilde, die so gar nicht zu dem Weihnachtsschmuck, der die Buden verzierte, und den aus Tannenzweigen geflochtenen Girlanden zwischen ihnen passen wollte. Es waren die Bogenlampen der Elektrofirma Siegmund Schuckert. Sie umringten den Hauptmarkt wie ein Regiment fremdartiger Soldaten und waren durch dicke Kabel miteinander verbunden, von denen es hieß, man dürfe ihnen nicht zu nahe kommen, sonst sei es um einen geschehen. Aus diesem Grund hatten sich auch die Ladeninhaber der Kolonnaden am nördlichen Teil des Marktes gegen diese beängstigende und hässlich anzusehende Errungenschaft der modernen Technik gewandt. Die

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