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Das gläserne Paradies

Das gläserne Paradies

Titel: Das gläserne Paradies Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Durst-Benning
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geändert.
    Â»Vielleicht ist es am besten, wenn ich von vorn beginne. Ich war ungefähr so alt wie du, Anna, als ich nach Sonneberg ging, um eine Stelle als Assistentin eines Verlegers anzunehmen. Vater war zu dieser Zeit schon lange tot, Ruth und Marie waren hier in der Heimerschen Werkstatt beschäftigt. Doch ich wollte hier nicht versauern, ich wollte mehr. Und ich bekam es auch!« Sie lachte harsch auf. »Der Verleger hieß Friedhelm Strobel.«
    Â»Ach du meine Güte!« Wanda schlug eine Hand vor den Mund.
    Anna runzelte die Stirn. »Der Strobel, der jetzt die Glashütte gekauft hat? Mit dem wollten Vater und du doch nie etwas zu tun haben! Und jetzt erfahre ich, daß du sogar einmal bei ihm angestellt warst?«
    Johanna nickte. »Jung und dumm war ich, als ich zu ihm ging, und so wißbegierig! Strobel war ein guter Lehrer, das muß man ihm lassen. Von ihm habe ich etliche Kniffe gelernt, was das Geschäftemachen angeht. Er ist ein Meister der Manipulation, er trifft bei jedem Menschen genau den richtigen Ton, so daß bald jeder nach seiner Pfeife tanzt!« Sie verstummte. Ihr war nicht entgangen,daß Wandas Blick immer verschlossener geworden war. Die Augen gesenkt, pulte sie an dem löchrigen Tischtuch herum. Es schien, als könne sie nur mit größter Anstrengung die Tränen zurückhalten.
    Â»Wanda?« sagte Johanna. Und als diese aufschaute, fuhr sie fort: »Du kennst die Geschichte, nicht wahr? Marie … Es muß Marie gewesen sein.« Die plötzliche Erkenntnis, daß die Schwester ihr über so lange Jahre gehütetes Geheimnis verraten hatte, durchbohrte sie wie ein Messerstich.
    Wanda nickte. »Ich mußte ihr versprechen, es für mich zu behalten. Doch sie hat damals keinen Namen genannt, leider! Dann wäre mir einiges erspart geblieben … Denn Strobel hat –«
    Irritiert schaute Anna von einer zur anderen. »Könnte mir mal jemand sagen, worum es hier geht?!«
    Und Johanna begann zu erzählen. Davon, wie sich Strobel eines Tages brutal an ihr vergangen hatte. Davon, wie sie sich mit letzter Kraft zu Fuß in Richtung Lauscha aufgemacht hatte. Mit dem Zug hatte sie nicht fahren wollen, so, wie sie aussah. Sie erzählte davon, wie ihre Kräfte jedoch unterwegs versagt hatten. Daß sie wie ein verendendes Stück Vieh am Straßenrand liegengeblieben war.
    Vom Hausflur her waren Schritte zu hören. Eva steckte ihren Kopf durch die Tür, zog verwundert die Brauen in die Höhe, als sie außer Wanda und Johanna auch Anna am Küchentisch sitzen sah. Sie öffnete den Mund, als wolle sie etwas sagen, überlegte es sich dann jedoch anders und zog die Tür leise hinter sich zu. »Wer braucht schon eine heiße Suppe! Dann gibt es heute abend eben nur Brot mit Käse«, hörte man sie draußen murmeln. »Legt wenigstens Holz nach, damit mir das Feuer nicht ausgeht!« rief sie ihnen durch die geschlossene Tür zu.
    Johanna knetete ihre Hände, um wieder etwas Leben hineinzubekommen. Dann stand sie auf, ging zum Herd und legte ein Holzscheit in die schon schwach gewordene Glut. Sie durfte jetzt nicht schlappmachen! Schwerfällig setzte sie sich wieder an den Tisch.
    Â»Magnus hat mich damals so gefunden. Ich erkannte ihn nicht gleich, er war lange Jahre in der Ferne gewesen, und just an jenem Tag hatte es ihn zurück in die Heimat verschlagen. Er trug mich den ganzen langen Weg nach Hause. Ohne Fragen zu stellen.« Johannas Stimme wurde weich. Ja, es verband sie viel mit dem stillen Glasbläser, der ihr damals, in der Stunde ihrer größten Not, zur Seite gestanden hatte. Und der Marie mit jeder Faser seines Herzens geliebt hatte. Da war es nicht so leicht, ihn einfach zum Teufel zu schicken, nur weil Marie nicht mehr lebte und er ein schlechter Glasbläser war!
    Annas Augen waren während Johannas Schilderung immer größer geworden. »Aber … warum … warum hast du uns nie davon erzählt? Das ist ja furchtbar!« In einer seltenen Geste der Zärtlichkeit streichelte sie über Johannas Arm.
    Johanna biß sich auf die Lippen, versuchte ein Lächeln zustande zu bringen. Es gelang ihr nicht.
    Â»Ich habe mich so geschämt! Habe geglaubt, alles sei meine Schuld. Tagelang habe ich mich in meinem Zimmer verkrochen, die anderen wußten gar nicht, was sie mit mir anstellen sollten.« Sie blickte Wanda von der Seite an.

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