Das gläserne Paradies
ärgerlich beim Anblick der modisch angezogenen Damen. Eine solche Gelegenheit würde sich bestimmt nicht so schnell wieder bieten.
»Für welche Art Kuchen ist Berlin besonders berühmt?« Vorsichtig versuchte Wanda, ihre FüÃe inmitten all ihrer Einkäufe ein wenig auszustrecken.
»Das weià ich ehrlich gesagt nicht«, erwiderte David. »Während meiner Lehrzeit in Berlin hatte ich nicht das nötige Kleingeld, um mich durch die Tortenwelt zu schlemmen.«
Das Serviermädchen kam, und beide bestellten Kaffee und ein Stück NuÃtorte.
»Ach, ist das alles herrlich!« Wanda seufzte laut auf. »Können Sie sich vorstellen, daà ich seit meiner Abreise aus New York nicht mehr richtig einkaufen war? Und heute â so viele schöne Dinge!« Mit Besitzerstolz schaute sie auf ihre Pakete. Sie konnte es kaum erwarten, diese auf dem Hotelbett auszubreiten und noch einmal zu begutachten. Eine fliederfarbene Seidenblume für Eva, dazu farblich passende Knöpfe. Ein Taschenmesser mit einemgeschnitzten Griff aus Horn für Michel. Veilchenseife für Johanna. Und, und, und â für jeden würde sie ein Geschenk mitbringen! Ihre Abschiedsgeschenke â¦
»Nochmals vielen Dank für den Schlips!« David deutete auf einen schmalen, weinroten Karton, der neben ihm auf dem Tisch lag. »Daà sie darauf bestanden haben zu zahlen, ist mir wirklich nicht recht! Ich â«
»Papperlapapp!« unterbrach Wanda ihn. »Es ist doch nur ein winziges Dankeschön für alles, was Sie für mich â für uns! â getan haben.«
Er zuckte mit den Schultern. »Nicht der Rede wert. Aber eines kann ich sagen: Mein alter Lehrer, Herr Graupner, wäre mit unserer Wahl sehr zufrieden gewesen. Reine Seide, unifarben, von Hand genäht â zeitlos hätte er solch einen Schlips genannt. Er war zwar nur ein einfacher Dorflehrer, aber er legte stets groÃen Wert auf eine ordentliche Erscheinung. Kam immer daher wie der Herr Bürgermeister selbst! Manche lachten deshalb über ihn, ich aber bewunderte seine Haltung. Es hinge nicht vom Geldbeutel ab, ob jemand wie ein feiner Herr oder wie ein Gassenjunge auftrete, sagte er immer. Ein pfleglicher Umgang mit Kleidung und Schuhen, gute Qualität bei Material und Verarbeitung â¦Â« David schüttelte den Kopf. »Wenn ich heute darüber nachdenke â man hätte meinen können, wir wären auf eine höhere Jungenschule gegangen und nicht in die Dorfschule von Steinach, wo die meisten Jungen nach ein paar Schuljahren in den Steinbruch gehen. Oder ins Wirtshaus.« Er lachte harsch auf. »Als ob auch nur aus einem einzigen von uns ein feiner Geschäftsmann geworden wäre â¦Â«
»Aber nichts anderes sind Sie geworden!« rief Wanda. »Ihr Lehrer wäre bestimmt stolz auf Sie, wenn er wüÃte â¦Â« Sie verstummte. Ja, David hatte geschafft, wovon sieschon lange träumte: Er hatte seinen Platz im Leben gefunden. Wohingegen sie â¦
»Wanda ⦠Wanda, was ist denn?« David beugte sich zu ihr hinüber, tippte vorsichtig ihre Hand an.
Sie schaute ihn an. Eigentlich wollte sie die gute Stimmung des Tages nicht trüben. Aber bevor sie etwas dagegen tun konnte, platzte es aus ihr heraus: »Ach, wenn ich auch nur etwas hätte, worauf ich stolz sein könnte! Alles mögliche habe ich ausprobiert. Aber mir wollte bisher nie etwas gelingen, bis zum heutigen Tag nicht. Inzwischen weià ich gar nicht mehr, ob ich überhaupt irgend etwas kann. Oder wer ich bin. Die Tochter von Steven Miles, dem erfolgreichen Geschäftsmann? Oder die Tochter vom Glasbläser Thomas Heimer? In Amerika glaubte ich, eine Lauschaerin zu sein. Und in Lauscha nennen mich die Leute âºdie Amerikanerinâ¹. Wer bin ich denn? Was macht mich aus? Was kann ich denn richtig gut? Am Ende gar nichts?«
David ergriff so abrupt Wandas Hand, daà er fast eines der Kaffeekännchen umstieÃ.
»Liebste Wanda â für mich sind Sie die wundervollste Frau der Welt! Noch nie habe ich jemanden wie Sie kennengelernt. So ⦠voller Leben! Voller Temperament und Anmut und â« Er brach ab. Die Röte war ihm in die Wangen geschossen. Fahrig strich er sich eine Haarlocke aus der Stirn. Weniger leidenschaftlich fuhr er fort: »Natürlich sind Sie die Tochter Ihres Stiefvaters, von ihm haben sie seinen
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